: „Berufungsverfahren wird ausgesetzt“
■ Bürgerschaft debattierte Stellenschieberei des Finanzsenators / „Grobi“ besann sich etwas
Fast alle saßen sie gestern vormittag gebannt auf ihren roten Plenarsaal-Sesseln, die hundert Abgeordneten der Bremer Bürgerschaft. Denn das Thema der „Aktuellen Stunde“ betraf sie sehr. Es ging um einen aus ihrer Mitte, der sich vorsorglich entfernt hatte, den SPD-Abgeordneten Detlef Griesche. Ihm hatte Finanzsenator Claus Grobecker am 19.5.1989 unumwunden geschrieben: „Lieber Detlef, der Rektor der Hochschule für öffentliche Verwaltung haut in'n Sack. Ich biete Dir an, Professor an dieser Hochschule zu werden.“ Dieses markige Schreiben war der taz nach Recherchen zugespielt worden — nachdem Griesche am 4. Februar 1991, also knapp zwei Jahre später, tatsächlich in der Hochschule von einer Berufungskommission zum Professor vorgeschlagen worden war.
Gestern zweifelte niemand in der Bürgerschaft an der Echtheit des markigen Schreibens. Selbst Bürgerschaftspräsident Dieter Klink erklärte: „Wir kennen ja den, der es geschrieben hat. Nicht umsonst wird Finanzsenator Grobecker auch 'Grobi' genannt.“ Claus Grobecker, gelernter Drucker, dementierte nicht: „Diese Ausdrucksweise entspricht meiner Herkunft. Meiner So-zi-a-li-sa-ti-on. — Ich kann es nicht helfen, wenn da bei mir Briefe geklaut werden.“
Ein Unrechtsbewußtsein über die zahlreichen „Merkwürdigkeiten“, die sich auf dem Weg Detlef Griesches zum Professor ereignet hatten, ließ weder Grobecker noch ein anderer der SPD-Debattenredner erkennen. Um so überraschender, als fünf Stunden nach Schluß der Debatte der Pressesprecher des Senators den Medien telefonisch die Meldung durchgab: „Die Vorwürfe gegen das in der 'Hochschule für Öffentliche Verwaltung' durchgeführte Bewerbungsverfahren werden überprüft, und solange wird das weitere Berufungsverfahren ausgesetzt.“ Die Beweggründe dieses plötzlichen Sinneswandels wußte der Behörden-Sprecher nicht zu nennen. Hatte die Bürgerschaftsdebatte ausnahmsweise nachhaltige Wirkung gezeigt?
Der CDU-Abgeordnete Bernt Schulte zu Berge hatte darin in einer feinsinnigs-ironischen Rede seiner Freude über den Karrieresprung des Abgeordneten Griesche Ausdruck gegeben: „Das ist ein Trost für alle Kollegen, die von Selbstzweifeln über ihre Qualifikation geplagt sind.“ Und die grüne Helga Trüpel hatte die „Männerseilschaft“ zwischem dem „Provinzfürsten“ Grobecker und dem „Günstling“ Griesche angeprangert und gefordert, die Professur neu und überregional auszuschreiben.
Der SPD-Abgeordnete Hans- Joachim Naydowski hatte sehr angefaßt reagiert. Aus den Sätzen des CDU-Redners spreche „Häme“. Finanzsenator Grobecker habe doch nichts Unrechtes getan, sondern nur den Kollegen Griesche darauf aufmerksam gemacht, seinen „Beruf zu pflegen“. Schließlich sei der Abgeordnete Griesche früher schon als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig gewesen. Und könne deshalb seine ruhende Stelle von der Universität mit an die „Hochschule für Öffentliche Verwaltung“ nehmen. Grobecker wollte sein klares Angebot aus dem Brief (“Ich biete Dir an, Hochschullehrer an dieser Hochschule zu werden“) uminterpretiert wissen: „Ich habe Griesche damit gesagt, kümmere Dich darum, bewerb' Dich.“ Was Grobecker nicht sagte: Zu diesem Zeitpunkt gab es die betreffende Stelle noch gar nicht, sie mußte erst noch eingerichtet werden. Doch fünf Stunden später muß Grobecker die Widersprüchlichkeit des von ihm angeleierten Verfahrens selbst aufgefallen sein: Warum sonst sollte er es aussetzen? B.D.
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