: Für die Truppen und gegen George Bush
■ Militäry Family Support gegründet, der sich um Sorgen der Soldaten und deren Angehörige kümmert
Milwaukee (taz) — Irgend etwas stimmte da nicht an der Reaktion ihrer Regierung auf den Einmarsch der irakischen Truppen in Kuweit, dachte sich Judith Davenport im August. Warum mußte denn Verteidigungsminister Cheney zwei Mal in die saudische Hauptstadt Riad fahren, um die Saudis davon zu überzeugen, daß sie von den Vereinigten Staaten verteidigt werden wollten. Richtig stutzig wurde die Ehefrau und Mutter von zwei Navy-Soldaten aus Charleston in South Carolina dann, als sie für ihren Mann vor dem Auslaufen seines Zerstörers an den Golf langärmelige Hemden gegen den möglichen Effekt von Chemiewaffen besorgen mußte. Hatten die denn keine Schutzanzüge? Sollte die Regierung ihnen etwa nicht die ganze Wahrheit sagen?
Für eine Weile stritten sich die beiden über die Politik der Bush- Administration. Ihr Mann, so sagt sie heute „mußte damals einfach noch daran glauben, daß seine Regierung richtig handelte“. Judith Davenport dagegen hatte mittlerweile den beißenden Brief eines anderen Soldatenvaters gelesen. „Dear Mr. Praesident“, hatte da ein Universitätsprofessor aus Milwaukee namens Alex Molnar in der 'New York Times‘ geschrieben. „Wenn mein Sohn bei den Marines getötet wird, werde ich Ihnen, Mr. Bush, nicht vergeben.“ Judith (und einige andere Familienangehörige von Soldaten) riefen daraufhin bei Alex Molnar an. Nur kurze Zeit später war das „Military Family Support Network“ gegründet, in dessen Hauptquartier sie nun ihre Familiengeschichte erzählt.
Vier Festangestellte und ein Dutzend Freiwilliger koordinieren aus dem kleinen Laden an der Oakland Avenue die Aktivitäten der zahlreichen lokalen Unterstützergruppen für kritische Soldatenfamilien. Im Schaufenster wird der groß abgezogene Brief Alex Molnars von zwei Sternenbannern umrahmt. An dem Patriotismus der Netzwerk-Mitglieder kann es keinen Zweifel geben. Alex Molnar und Judith Davenport sind die Symbole eines neuen Kriegsgegnertypus, der mit den studentischen Demonstranten der Vietnamkriegsära nicht mehr viel gemeinsam hat. Für die Truppen, aber gegen die Bush- Administration, so lautet die neue Protestformel. Auch das Haus der Davenports in Charleston ist wie fast alle Gebäude in South Carolina mit gelben Rosetten und Flaggen geschmückt. Nur daß die Militärfamilien für den Krieg mit Schildern „Deportiert Davenport“ für einen George Bush auf die Straße gehen, den Judith am liebsten vom Kongreß seines Amtes enthoben sähe. Obwohl sie daheim von ihren Nachbarn mehr oder minder geächtet wird, schellt bei ihr immer wieder das Telephon. Das sind dann meistens Leute, die in einer so militärabhängigen Gegend wie South Carolina keinen offenen Protest wagen, privat aber durchaus ihre Sympathien mit Judiths Position ausdrücken möchten.
Einmal hat allerdings auch die Navy angerufen: Wenn sie glaube, daß ihre Haltung ihrem Mann nicht schaden werde, habe die Stimme am anderen Ende der Leitung gesagt, dann sei sie ganz nett naiv. Doch bisher sind Mann und Sohn, die nach mehrmonatigem Einsatz gerade wieder in den USA zurück sind, von offenen Feindseligkeiten an ihrem Arbeitsplatz verschont geblieben. Im Gegenteil, ihr 22jähriger Sohn, der auf einem Unterseeboot dient, hat jetzt Angst, daß es die CIA auf seine Mutter abgesehen hat. Denn als Mitvorsitzende des des Militär-Familien-Netzwerks reist diese nun mit Alex Molnar auf Vortragsreisen durch die Lande; wenn sie nicht gerade, wie in dieser Woche, im Hauptquartier aushilft.
Hier in Milwaukee werden solche Informationen gesammelt und an die Presse weitergegeben, die direkt von den Angehörigen der Golfkrieger kommen. Meldungen über technische oder finanzielle Pannen der Golfkriegsexpedition: von fehlerhaften Nachtbrillen oder Gasmasken bis hin zu ausbleibenden Unterstützungszahlungen an die Angehörigen daheim.
Zusammen mit einigen Kongreßabgeordneten wird gerade für einen Gesetzesentwurf geworben, der die Heimkehr alleinerziehender Eltern bzw. wenigstens eines Elternteils vorsieht, dort wo beide Eltern im „Kriegstheater“ eingesetzt werden.
Ihr plötzlicher politischer Aktivismus, der jeden langjährigen Liberalen vor Neid erblassen ließe, ist für Judith Davenport, Soldatenfrau und Mutter, Bush-Wählerin („I'm sorry“) und Geschäftsfrau, selbstverständlich. Die Frage von Recht und Unrecht hat sich für sie nicht verändert, nur weil George Bush am 16. Januar das Bombardement des Irak angeordnet hat.
Judith hat auch keine Angst vor der CIA, der Ruinierung ihrer Karriere als Geschäftsfrau oder davor, weiterhin in Charleston wohnen zu müssen. Sie geht einfach davon aus, daß sie in einem freien Land lebt. Und schließlich sind ja ihr Mann und ihr Sohn nicht zuletzt deswegen zu den Streitkräften gegangen, um die amerikanische Verfassung und damit auch ihre Redefreiheit zu verteidigen. Rolf Paasch
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