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... doch der rechte Teufelsfuß ward nicht erweislich

Foto: Gerhard Kassner

»Der Jude von Malta« dürfte nicht Nathan heißen, denn ein toleranter und weiser Mann ist er nun wirklich nicht: er betrügt, stiehlt und mordet, macht vor seinem eigenen Blut nicht Halt und haßt die ganze Menschheit, wenn nur einmal das Gefühl der Rache ihn ergriffen hat und wenn das bedroht ist, was vor allem anderen zählt (und was sich so schön zählen läßt): das Geld, der Reichtum.

Und Christopher Marlowe ist kein Zeitgenosse Lessings. Drum verzuckert seine Aufgeklärtheit auch kein pädagogischer Optimismus. Statt in verstaubten Bibliotheken ein Idyll der Harmonie zu pinseln, tummelte Marlowe sich lieber in den dunkeln Gassen Englands, gab sich atheistisch und zog als Spion staatspolitische Fäden. Sein Gewährsmann heißt nicht Kant — den Prolog spricht Macchiavell, der zynische Lehrmeister der realpolitischen Zunft: »Macht macht den König, und Gesetze gelten, wenn sie mit Blut geschrieben sind.«

Ideale Voraussetzungen — so scheint es —, um den Schattenseiten menschlicher Disposition scheidende Kontur zu geben: eine Farce über des Menschen angeborene Macht- und Geldgeilheit, eine Parabel auf die Gleichheit aller Ideologie im Bösen (ein Anti-Lessing, gemäß dem Motto »...doch der rechte Teufelsfuß ward nicht erweislich«. Doch von alledem nichts in der Freien Volksbühne. Dem Jung-Regisseur Michael Klette war es nicht gegeben, die simple Story von der blutigen Rache, dem Aufstieg und Untergang des gedemütigten Juden Barabas einfach zu erzählen. Stattdessen ein hemungsloser Bilderreigen ohne Zusammenhalt und Wirkung.

Die Sehnsucht nach dem Totaltheater ist spürbar: der eiserne Vorhang wird wiederholt bemüht, die Bühne bricht am Ende auf, um einen schwarzen Flügel sichtbar zu machen, Feuer und Qualm werden entfacht, Wasser klatscht auf durchsichtige Blusen, Regen in Form gelber Reclamhefte prasselt nieder usw. Wo immer es nicht nötig wäre, Gewalt und Sexismus auszustaffieren, geschieht eben dies. In merkwürdiger Gegenläufigkeit dazu bricht das Nebensächliche sich Bahn: Auf- und Abgänge häufen sich, da wird minutenlang geschleppt, gezerrt, gezogen, so daß genügend Zeit bleibt, zu dem Schluß zu kommen, daß nichts dahintersteckt.

Provokation mag der Antrieb gewesen, doch ging der unbemerkt (?) verloren. Vielleicht sollte Allzubekanntes neuartig zertrümmert werden — in des Regisseurs kurzschlüssiger Imagination wurde tiefrer Sinn zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Die im Grunde spielfreudigen Akteure klemmen sich ins müde Korsett, eine undankbare Aufgabe, die Mitleid weckt. Die Premiere drei Tage nach Ausbruch des Golfkrieges wirkte wie von gestern und hätte doch ganz aktuell sein müssen. So wurde Unbedarftheit regressiv. baal

»Der Jude von Malta« heute um 19.30 Uhr in der Freien Volksbühne.

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