: Makaber-betr.: Interview mit Günter Grass, taz vom 16.2.91
betr.: Interview mit Günter Grass,
taz vom 16.2.91
Das Interview mit Günter Grass gehörte zum Unterträglichsten, was ich in der letzten Zeit in der taz gelesen habe. Wenn jemand heute als Obermoralist gegen Waffenexporte auftritt, der seit Jahrzehnten als Wahlkämpfer für eine Partei agierte, die an der Aufrüstung des Irak ebenso beteiligt war wie die nun real-existierende, dann ist das schon makaber. Ebenso der Verweis auf den „Glücksfall Palme“, der die Waffengeschäfte schwedischer Firmen ungeachtet seiner Friedensrhetorik immer wieder angekurbelt hat. Gänzlich unerträglich ist es jedoch, die arabische Welt gemeinsam mit den Ländern Afrikas, Asiens und Südamerikas zu den Opfern des europäischen Kolonialismus zu zählen; zumal diese perverse Gleichsetzung auch noch von den besonders unbedarften Teilen der Friedensbewegung übernommen wird. Wenn es eine Grenze zwischen Ausgebeuteten und Kolonialisten gibt, dann stehen die arabischen Nationen ähnlich wie die europäischen auf der Seite der Kolonialisten.
Oder wo ist der grundlegende Unterschied zwischen der brutalen Kolonisierung Nordafrikas durch arabische Heere, die dort alle eigenständigen Kulturen plattgemacht haben, und denselben Schandtaten der Spanier und Portugiesen ein paar hundert Jahre später in Süd- und Mittelamerika? Auch den Überlebenden der Völkermorde — den Indianern auf der einen und den Berbern, Tuareg oder Kopten auf der anderen Seite — begegnen die Nachfahren der Kolonisatoren mit derselben Arroganz und Intoleranz. Die arabischen Nationen sind also ein denkbar unglaubwürdiges Beispiel im „antiimperialistischen Befreiungskampf“.
Und schließlich, nicht um etwas zu rechtfertigen, sondern der historischen Fakten willen: Als die arabische HERRlichkeit vorübergehend erlahmt ist, sind die Europäer bei ihren Versuchen, sich im Nahen Osten breit zu machen, kläglich gescheitert. Stattdessen haben die türkisch-osmanischen Glaubensbrüder (die -schwestern spielen ja da keine Rolle!) die Eroberungspolitik weitergetrieben. Im Gegensatz zu den Engländern etwa haben sie den Irak nicht nur wenige Jehrzehnte, sondern ein halbes Jahrtausend unterdrückt. Klemens Ludwig, Tübingen
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