: Profil zeigt sich an den Kanten-betr.: "Den Krähwinkel verlassen", taz vom 12.2.91
betr.: „Den Krähwinkel verlassen“ von Ulrich Hausmann,
taz vom 12.2.91
„Germans to the front!“, diese englische Aufforderung, sich an der Seite der imperialistischen Großmächte an der Niederschlagung des chinesischen „Boxeraufstandes“ zu beteiligen, hörten die Deutschen im Jahre 1900 nicht ungern, wurde damit doch die Gleichberechtigung der Deutschen im Bunde der Imperialisten anerkannt. Die Ursachen für den niederzuschlagenden Aufstand lagen im Protest gegen europäische Überfremdung.
Wenn heute zum Golfkrieg ähnliche Aufrufe an die Deutschen von seiten der „Alliierten“ zu vernehmen sind, fühlen sich so manche Politiker und Kommentatoren an ihrer deutschen Ehre gepackt: Die Zeit der Umerziehung nach 1945, die Zeit der bevormundenden Souveränitätseinschränkung sei vorbei, mit der deutschen Vereinigung seien die Deutschen nun erwachsen geworden, müßten ihren Teil der Verantwortung in der Welt übernehmen. Die Forderung „Deutsche Soldaten an den Golf“ beinhaltet die langersehnte Gleichberechtigung, die Möglichkeit, die Diskriminierung als vaterlandsloser Geselle loszuwerden. Die Kritik an der bisherigen deutschen Politik, von den Alliierten im Golfkrieg mehr oder weniger direkt vorgetragen, führte zur weitgehenden Verunsicherung im Hinblick auf die Fragen: Wo ist unser Platz als souveräner Staat in der Staatengemeinschaft? Welche historischen Wurzeln und welche historische Verantwortung haben wir als Nation? Was sollen wir mit unseren Fähigkeiten in der Weltpolitik anfangen?
Es stellt sich die Frage nach der Identität des neuen Deutschlands.
Wer immer nur nach Lob und Tadel schielt, wird die Schwierigkeiten mit dem eigenen Selbstverständnis konservieren, womöglich nie erwachsen werden. Es sei denn, erwachsen werden hieße, genauso zu werden wie die Vätergeneration.
Pubertäre Revolten sind die Voraussetzung für die Abnabelung von den Eltern und die Bildung eines eigenen Selbstverständnisses. Deshalb ist mir der radikal-pazifistische Antiamerikanismus der Kids auf der Straße lieber als die biedermeierliche Argumentation, daß die deutsche Politik endlich aus dem Krähwinkel ihres Sonderwegs mit althergebrachten Tugenden wie Treue (zum Bündnis), Mut (statt Desertation) und Verpflichtung (gegenüber dem zionistischen Israel) heraustreten sollte.
Die Voraussetzungen für eine neue eigene Identität der Deutschen sind nicht schlecht, haben doch die Revolten von 1968, 1983 und 1989 durch die Auseinandersetzung mit den Vätern Faschismus und Patriarchat sowie mit den Stiefeltern US- Imperialismus und Stalinismus deutliche Spuren hinterlassen. Das Neue, das dabei in vielen Köpfen entstand, zeigt sich in der demokratischen Kultur, die trotz aller Wahlergebnisse in einem demokratischen Pluralismus, in alternativen Lebensformen, friedlichen Formen der Konfliktbewältigung und der Aufweichung des Nationalstaatsgedankens weiterwirkt. Daß die Deutschen Konsummöglichkeiten höher halten als die zweifelhafte Ehre, den Krieg über Sondersteuern zu finanzieren, ist ein gutes Zeichen. Die Kritik hieran speist sich aus altdeutschen Tugendidealen.
Die politischen Kommentatoren müssen sich die Frage gefallen lassen, welche deutsche Identität sie fördern wollen, die vermeintlich gute alte oder die noch unausgereifte neue. Zu einem neuen Selbstbewußtsein gehört auch der Mut, sich zwischen die Stühle zu setzen: Wer sich moralisch gegen die irakische Besetzung Kuwaits empört, sollte nicht vergessen, die zionistische Kolonialpolitik gegenüber den Palästinensern zu geißeln. Wer die Bombardierung von Zivilisten im Irak verurteilt, sollte auch für rein defensiven Schutz der Israelis eintreten.
„Pardon wird nicht gegeben“, versprach Kaiser Wilhelm im Jahre 1900 den Chinesen, die es nach ihrem Aufstandsversuch nie wieder wagen sollten, einen Deutschen scheel anzusehen. Das neue deutsche Selbstbewußtsein sollte es erlauben, gegenüber der arabischen Nation genau entgegengesetzt zu sprechen. Profil zeigt sich an den Kanten, besonders im Gegenlicht, nicht als Armleuchter auf der Suche nach irgendeinem Platz an der Sonne. Hans Dall, Hamburg
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