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Prekäre Lage der indischen Regierung

Die Minderheitsregierung Chandra Shekars gerät immer mehr ins Trudeln/ Nach massiven Protesten mußte Delhi seine Einwilligung, nach der US-Militärmaschinen auf dem Weg zum Golf auf indischen Flughäfen auftanken konnten, widerrufen  ■ Von Larry Jagan

Seit Beginn des Golfkrieges am 17. Januar haben US-Militärmaschinen mit Einwilligung der indischen Regierung auf dem Flughafen von Bombay aufgetankt. Die Regierung hatte ihre Genehmigung mit der Bedingung verknüpft, daß nur Flugzeuge, die keine tödlichen Ladungen beförderten, landen dürften. Doch nachdem die Nachricht über die Landeerlaubnis vor zwei Wochen bekannt wurde, entfachte sich ein Sturm der öffentlichen Entrüstung, so daß Premierminister Chandra Shekar nichts anderes übrig blieb, als seine Einwilligung zurückzuziehen.

Tatsächlich war die Minderheitsregierung, deren Überleben von der stillschweigenden Unterstützung der Kongreß-Partei Rajiv Gandhis abhängt, zu diesem Schritt gezwungen, als die Kongreß-Partei an diesem Wochenende damit drohte, ihre Unterstützung zu entziehen, falls die Flüge nicht unverzüglich unterbunden würden. Obwohl es so schien, als habe die Regierung ihre Einwilligung am Sonntag zurückgenommen, war die Lage in den folgenden zwei Tagen unklar. Denn offensichtlich landeten die US-Maschinen weiterhin auf dem Flughafen von Bombay. Nachdem er beschlossen hatte, die Einwilligung zurückzuziehen, erklärte Shekar am Wochenende vor Journalisten, er brauche Zeit, die US-Behörden zu informieren und alternative Auftank-Anlagen zu finden. Wie es heißt, werden die Flugzeuge nun in Pakistan aufgetankt.

Die Ironie der Geschichte liegt natürlich darin, daß der traditionelle indische Sozialist Chandra Shekar in der Vergangenheit kein Freund der USA gewesen ist. Die Beziehungen zwischen Neu-Delhi und Washington waren abgekühlt, als sich die USA 1971, beim letzten Krieg zwischen Indien und Pakistan, auf die Seite Pakistans stellten. Seitdem sind die USA zum wichtigsten ausländischen Unterstützer Pakistans geworden und haben massive Mitärhilfe geleistet.

Als die USA im vergangenen Jahr — vor dem Hintergrund der Entlassung Benazir Bhuttos — eine Revision ihrer Politik gegenüber Pakistan vollzog, die Militärhilfe stoppten und auch andere Finanzhilfen stark beschnitten, ergriff Delhi die Gelegenheit, seine Beziehungen mit den USA zu verbessern und Pakistan weiter zu isolieren. In jüngster Zeit tendiert Washington dazu, sich im Kashmir-Konflikt zwischen Indien und Pakistan auf die Seite Indiens zu stellen. Von größerer Bedeutung ist jedoch eine andere Entwicklung: Als die indischen Devisenreserven infolge der durch den Golfkonflikt verschärften Wirtschaftskrise im vergangenen Monat verzweifelt niedrig waren, sprang der Internationale Währungsfonds schnell mit einem 1,80 Mrd. Dollar Kredit ein, der von Washington genehmigt worden sein muß. Nach Ansicht vieler Kommentatoren war dies die Gegenleistung für die Genehmigung, die US-Flugzeuge in Indien auftanken zu lassen.

Der öffentliche Aufschrei gegen die Genehmigung war massiv. Täglich fanden Demonstationen statt, und die meisten Zeitungen kritisierten die Regierungspolitik scharf. Doch der wichtigste Faktor für Chandra Shekar ist die Kritik der Kongreß-Partei. Shekars Regierung verfügt im Parlament nur über 54 von 545 Sitzen. Obwohl die Kongreß- Partei mit ihren 192 Sitzen die größte Fraktion im Parlament stellt, hat sie nicht genug Mandate, allein eine Regierung zu stellen. Viele Kritiker innerhalb der Partei haben gewarnt, die Unterstützung Shekars schade ihnen bei ihren Wählern.

Parteiführer Rajiv Gandhi hat offensichtlich den Wahlkampf bereits begonnen. Am vergangenen Wochenende warnte er in einer virulent anti-amerikanischen Rede die Regierung, daß ihre Politik in Bezug auf die US-Militärflugzeuge den Status Indiens als blockfreies und neutrales Land im Golfkrieg kompromittiere. Er forderte die Regierung auf, sich dem amerikanische Druck zu widersetzen. Während er darauf hinwies, daß es alternative Auftank-Einrichtungen gebe, erklärte er, die USA wollten Indien benutzen, um der Welt — und insbesondere den arabischen Ländern — zu zeigen, daß Indien die US-geführte Militäraktion gegen Saddam Hussein unterstützte. „Dieser Krieg wird nicht geführt, um Kuweit zu befreien, sondern um zu zeigen, daß ein Land die Welt kontrollieren kann.“

Während Rajiv Gandhis anti- amerikanische Haltung zweifellos die indische öffentliche Meinung widerspiegelt, glauben die meisten Beobachter, daß er diese kalkuliert einsetze, um die Unterstützung der 110 Millionen Moslems des Landes zurückzugewinnen, die den Krieg gegen den Irak scharf ablehnen. Wegen ihrer zahlenmäßigen Bedeutung und der Tatsache, daß sie im ganzen Land zerstreut sind, sind die moslemischen Wählerstimmen traditionell ein Schlüsselfaktor für die Bestimmung des Wahlausganges gewesen.

Die Ankündigung Chandra Shekars zum Anfang dieser Woche, daß er die Vorlage des jährlichen Haushaltsplans, die für die nächste Woche vorgesehen war, verschieben wolle, hat die Spekulationen über einen baldigen Sturz der Regierung verstärkt. Die Kongreß-Partei hat sich bitterlich über die galoppierende Inflation im Lande beklagt und die Regierung dringend dazu aufgefordert, keine Steuererhöhung vorzunehmen. Ein führendes Kongreß-Mitglied drohte kürzlich, seine Partei werde der Regierung die Unterstützung verweigern, sollte Shekars Budgetvorschlag Maßnahmen beinhalten, die zu Lasten der Armen gehen.

Die Kongreß-Parei hat sich zudem sehr kritisch gegenüber den Versuchen der Regierung gezeigt, mit den militanten Sikhs im Punjab und der Guerillabewegung in Assam zu verhandeln. Nun ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Kongreß- Partei die Regierung zu Fall bringen wird. Bleibt offen, ob Rajiv Gandhi bereit ist, eine Interimsregierung zu leiten oder gleich Neuwahlen anstrebt.

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