Eine Amerikanerin in Berlin

Nach einer anfänglichen Flut positiver Kritiken The Silence of the Lambs in den Staaten plötzlich eine heftige Kontroverse ausgelöst. Die Schwulenszene sowie eine Reihe schwuler Filmkritiker werfen dem Thriller Homophobie vor und meinen, er fördere das alte Klischee von Homosexuellen als Psychopathen, eine Auffassung, die von anderen — darunter auch mir — nicht geteilt wird. Bei diesem Streit geht es um Folgendes:

In Ted Tally's Bearbeitung der Romanvorlagen von Thomas Harris spielt Jodie Foster eine junge FBI-Agentin, der es nach einer Serie beinahe faustisch anmutender Unterhaltungen mit einem inhaftierten ehemaligen Psychiater und mehrfachen Mörder gelingt, einen anderen, noch frei herumlaufenden Frauenmörder zur Strecke zu bringen. Dieser neue Killer hat eine solche Angst vor den weiblichen Anteilen seiner Persönlichkeit, daß er immer wieder Frauen umbringt und ihnen dann die Haut abzieht, um sich daraus einen Anzug zu schneidern. Diesen zieht er an, in der Hoffnung, die femininen Charaktereigenschaften, die seine Maskulinität bedrohen, zu neutralisieren.

Für mich ist die Identität eines Menschen immer eine Art Mosaik, und Das Schweigen der Lämmer handelt von der Tragödie derer, die das nicht wahrhaben wollen. Die eigentliche Wurzel des Bösen liegt bei diesem Film in der simplifizierenden, tödlichen Geschlechterrollentrennung. Meine Kollegen meinen, das sei eine sehr gute Interpretation, mit der ich allerdings ziemlich alleine dastehe. Immerhin, so sagen sie, verdiente der Mörder seinen Lebensunterhalt als Damenschneider und hält sich einen niedlichen kleinen Pudel namens „Precious“, und diese verbreiteten Klischees von vermeintlich tuntigen Merkmalen würden das breite Publikum veranlassen, diese Figur als eindeutig homosexuell zu betrachten, auch wenn im Film verbal genau das Gegenteil ausgedrückt werde. Die visuellen Informationen seien — so meine Kollegen — im Film entscheidender als alle verbalen. Kein Zuschauer, der sich im Einkaufszentrum in einem der vielen kleinen Mini-Kinos eine Dose Cola und Das Schweigen der Lämmer reinzieht, würde auf den Gedanken kommen, über die Probleme unserer rigiden Geschlechterrollendefinition nachzudenken.

Das mag richtig sein. Aber kann man von einem Filmemacher verlangen, sein Drehbuch auf den am wenigstens zum Denken bereiten Teil des Publikums zuzuschneiden? Daneben wirft das Argument von der Bedeutung der visuellen Informationen gegenüber den verbalen ein schwieriges Problem auf: Wie soll man im Film einen Mann darstellen, der nicht homosexuell ist, aber gerne näht und sich einen Pudel hält?

Das immerwiederkehrende Problem bei der Redefreiheit besteht darin, daß es für die meisten sehr schwer ist, einmal den Mund zu halten und auch den anderen zu Wort kommen zu lassen. Ich schätze, Sybille Schönmann weiß aus eigener Erfahrung, wovon ich spreche. Sie hat im Jahre 1984 einen Ausreiseantrag aus der DDR gestellt, weil sie sich in ihrer Arbeit als Filmemacherin von der DEFA eingeschränkt und bevormundet fühlte — mit dem Ergebnis, daß man ihre Freiheit prompt noch mehr einschränkte und sie ins Gefängnis steckte. In ihrem Film „Verriegelte Zeit“ kehrt sie nun in ihr damaliges Gefängnis zurück und beschreibt — mit durch die Gänge schleichender Kamera und beängstigenden Einstellungen von Schlössern und nackten Zellenwänden — die physische Panik des Eingeschlossenseins, den Terror von Hilflosigkeit und Isolation. Ihre Interviews mit denen, die an ihrer Inhaftierung beteiligt waren — DEFA-Vorgesetzte, Richter und Gefängnisbeamte — verbinden sich zu einer makabren Gesellschaftskomödie. Wenn die Betreffenden ihr einstiges Opfer mit blumiger Herzlichkeit einseifen, ohne wirklich etwas zu sagen, entlarven sie dabei nicht nur sich selbst, sondern verweisen wieder einmal auf das aktuelle Problem, was man von denen denken soll, die damals ihren Frieden mit der Stasi gemacht haben.

So sehr ich von der Integrität des Films beeindruckt war, so sehr irritierte mich eine Szene darin. Schönemann erinnert sich, daß sie in den ersten paar Monaten ihrer Haft fest daran glaubte, die Regierung würde bald erkennen, daß sie unschuldig war, ihren Irrtum eingestehen und sich entschuldigen. Das gleiche merkwürdige Vertrauen in die Institutionen von Law and Order fand ich auch bei anderen (ehemals West-)Deutschen, die mir sagten, sie hätten erst seit der Vereinigung Deutschlands erkannt, wie antidemokratisch die Kohl-Regierung sei — zum Beispiel erst bei der Weigerung der Regierung, Listen mit den Namen ehemaliger Stasi-Mitarbeiter zu veröffentlichen, erst als sie feststellten, wieviele von denen, die vor der Öffnung der Mauer in einflußreichen Positionen saßen, heute schon wieder oder immer noch dort sind. Woher mag dieser Glaube, dieses Vertrauen in den Staat rühren? Wenn in den USA jemand (unter Berufung auf sein verfassungsmäßiges Recht) die Behörden auf Einsicht in die über ihn angelegten Akten verklagt, dann weiß er, daß ihn nichts erwartet als endloser Papierkrieg und eine Menge geschwärzter Passagen in den Unterlagen. Und jedesmal, wenn ich ein verdächtiges Knacken in der Telefonleitung höre, hole ich meine Liste mit Telefonsex-Nummern raus und sage den Jungs im Abhörwagen, sie sollen sich doch mal eine Pause gönnen.

Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen von Hans Harbort