: „Und wir steigen niemals ab, halleluja“
■ Nach dem 5:4-Heimsieg des EHC Dynamo gegen den EV Landshut im Abstiegs-Play-Off herrscht im Berliner Sportforum neue Zuversicht/ Verantwortlich für den Aufschwung ist Gerhard Kießling, der 68jährige neue Cheftrainer der Dynamos
Hohenschönhausen. »Im letzten Drittel hatten wir wieder ganz schön die Hosen voll«, feixte der quietschfidele Alte in die Runde. Die Pressevertreter und Vereinsmeier im Casino des Eishockey-Erstligisten EHC Dynamo klatschten Beifall. Wo sonst unweigerlich das Trainerkarussell in Gang gesetzt worden wäre (der EHC hat bereits zwei Trainer verschlissen!) herrschte seltsamer Konsens. Oh, wie recht er hat, unser Gerhard Kießling!
Daß es für die Crew des 68jährigen Trainer-Methusalems dennoch zu einem 5:4 (2:0/2:2/1:2) über Mitabstiegskandidat EV Landshut gereicht hatte, spielte nur eine Nebenrolle. Schon gestern (nach Redaktionsschluß) könnten die Bayern vor heimischem Publikum den Preußen den endgültigen Stoß ins definitive Abstiegsfinale versetzt haben, in dem der alte DDR-Kampfgefährte PEV Weißwasser der Duellant sein dürfte. Aber der EHC ist gewappnet. Vorsicht, Weißwasser, der Berliner Joker sitzt auf der Bank und trägt weder Helm noch Kelle, sondern graue Haare und einen schnieken Maßanzug aus der ersten Reihe.
Im Sportforum Hohenschönhausen grassiert das Kießling-Fieber. Was der vor Temperament und Sprüchen geradezu überschäumende Senior, der wie der wahre Luis Trenker wirkt, in seiner erst zweiwöchigen Regentschaft erreicht hat, darf getrost als Bravourstück bezeichnet werden.
Seine Schützlinge, die noch vor wenigen Wochen wie ausgelaugtes Tausalz über das Eisparkett bröckelten, haben zu neuer Stärke zurückgefunden. Nach nur 21 Minuten führten sie gegen Landshut mit 4:0 durch Tore von Kuhnke (2), Jaschin und Schaschow. Da konnten die Süddeutschen dem EHC-Wirbel nur verträumt beiwohnen. »Der EHC ist wieder da!« skandierten die 1.400 Fans und ließen neben Publikumsliebling Sergej Jaschin ihren neuen Schatz Gerhard Kießling hochleben. »Dabei haben wir doch nur im Hinblick auf die entscheidenden Spiele gegen Weißwasser trainiert«, versicherte Trainer Kießling, nachdem Landshut noch einmal bedrohlich nahe gekommen war. EHC-Coach Erich Kühnhackl wußte nicht, wie ihm geschah und zog es vor, sein breites Gesicht zu einem Lächeln zu verziehen...
Die Berliner »Eisbären« brüllen wieder, dank »Luis« Kießling alias Gerhard »Trenker«. Der gebürtige Sachse kennt die Mentalität der angeschlagenen Dynamos, die seit einem halben Jahr merken, wie gnadenlos das Bundesliga-Business sein kann. Für ihn zählen nicht die unverhohlenen Abwerbeversuche einiger Spieler durch Manager Stefan Metz vom West-Berliner Kassen-Krösus BSC Preußen. Auch die Tatsache, daß insgesamt vierzehn Dynamos als ehemalige VoPos eine »Warteschleife« ziehen, läßt er nicht gelten. Für Kießling gibt es nur knallharte Fakten: »Wir haben bloß zwei, drei gute Spieler. Der Rest ist Mittelmaß, denen darf man nur beibringen, was sie auch umsetzen können.«
Notfalls versucht er es mit Nachdruck (»denen werde ich die Hosen strammziehen«), manchmal gar mit Ratschlägen für soziale Interaktionen: »Ich habe meinen Spielern gesagt, sie sollen ihre Frauen nur etwas streicheln, um fürs Spiel fit zu sein.« Der Applaus im Dynamo-Rund ist ihm sicher. Gerhard Kießling paßt zum Club, der nach 1970 in der DDR nur noch geduldet war, wie das Casino im Stil der frühen sechziger Jahre zur Eisarena mit dem angejahrten Wölbedach.
Schade nur, daß sein Engagement an der Konrad-Wolf-Straße so spät zustandekam. Die Dynamo-Clubleitung holte den Eishockeyrentier aus dem sächsischen Crimmitschau, wo er dem darniederliegenden Flitzesport zu neuer Blüte verhelfen wollte. »Wir packen das noch, wir steigen nicht ab«, versprach Gerhard Kießling auch vor dem Spiel am Freitag. »Und wir steigen niemals ab, halleluja«, jubilierte wenig später die Fangemeinde beim 5:4-Sieg über Landshut. Der Funke in Hohenschönhausen ist offensichtlich übergesprungen. Gerhard Kießling sei Dank, halleluja! Uwe Ebenhöh
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen