: „Ostdeutschland ist keine Kolonie“
■ taz-Gespräch mit Manfred Rommel, Präsident des Deutschen Städtetages INTERVIEW
taz: Ein Großteil der etwa 8.000 ostdeutschen Kommunen ist zahlungsunfähig. War das voraussehbar?
Manfred Rommel: Das nicht, aber wir haben uns im Westen gerne eingeredet, daß die Ankurbelung der Wirtschaft im Osten praktisch von selber erfolgen würde. Zahlreichen Prognosen zufolge sollte ja die deutsche Einheit nicht nur nichts kosten, sondern sogar noch was einbringen.
Jetzt besteht die Gefahr, daß die Hälfte aller ostdeutschen Beschäftigten arbeitslos werden. Wenn das so ist, und wenn die Wirtschaft nicht verdient, kann auch keine Steuerbasis entstehen. Die Aufgaben müssen aber geleistet werden. Wir können Ostdeutschland ja nicht als Kolonie betrachten. Also müssen wir Renten, Pensionen, Arbeitslosengeld usw. transferieren und die Verwaltungskosten bezahlen.
Häufig wird der Vorwurf erhoben, die Verwaltungen im Osten beschäftigten zu viel und inkompetentes Personal und vergeudeten so die ohnehin knappen Mittel.
Das kann ich nicht glauben, denn auf die Kommunen ist eine Fülle zusätzlicher Aufgaben zugekommen. Und natürlich kann sich keiner in dreitägigen Schnellkursen das westdeutsche Verwaltungsrecht einverleiben, für dessen Studium man bequem mehrere Jahre braucht. Hinzu kommt in Ostdeutschland ein unglaubliches Mißtrauen: die alten Seilschaften seien noch am Werk.
Trifft das denn zu?
Es stimmt, daß die Auseinandersetzung der Vergangenheit für die Funktionsfähigkeit der Verwaltungen nicht günstig ist. Ich bin insofern ein Anhänger der Schlußstrich-Theorie.
Nun stehen einerseits die meisten Kommunen faktisch vor der Pleite, andererseits heißt es aber, bei der Deutschen Bundesbank lägen vier bis fünf Milliarden Mark bereit, die von den neuen Ländern nicht abgeholt würden. Außerdem würden die Gemeinden von dem Mittel der Kassenkredite nicht gebrauch machen.
Einen Kassenkredit, der der Überbrückung dient, kann man aufnehmen, wenn es ausreichende Deckungsmittel gibt. Jede Gemeinde muß ungefähr wissen, wieviel Geld sie in diesem Jahr und danach erwarten kann. Diese Klarheit muß ja erst noch hergestellt werden. Wenn es heißt, daß Milliarden für besondere Investitionsprogramme nicht abgerufen werden, kann das schon sein. Wollen die Gemeinden aber investieren, brauchen sie einen Plan. Und der kann nicht von heute auf morgen erstellt werden. Früher hat man ja auch in Westdeutschland versucht, Konjunkturprogramme zu erstellen. Das hat dann Monate und Jahre gedauert.
Erweist sich tatsächlich die Treuhand, wie es oft heißt, als hinderlich beim Erschließen oder Verkauf von gemeindeeigenen Gewerbegrundstücken?
Die Kommunen müssen den Anspruch auf Rückerstattung ihres Finanzvermögens an das Bundesfinanzministerium stellen, doch der Prozeß ist unglaublich schwerfällig. Im Finanzministerium ist man überfordert. Das Problem liegt darin, daß natürlich die Gemeinden nachweisen müssen, welche Grundstücke ihr gehört haben. Dazu müssen die alten Grundbücher herangezogen werden, dann muß das jemand prüfen, und schließlich müßte man das eigentlich notariell rückübertragen. Es sind aber keine Notare da, es existiert kein richtiges Grundbuch, und es gibt auch nicht ausreichend Personal, um die Anträge sämtlicher Kommunen zu bearbeiten.
Folglich müßte also das Bundesfinanzministerium oder die Treuhand oder beide zusammen nach oberflächlicher Prüfung solcher Ansprüche erklären, daß keine Bedenken gegen die Verwertung solcher Grundstücke bestehen. Das muß schnell geschehen, sonst sind die dynamischen Kräfte in Ostdeutschland gelähmt.
Brauchen wir für eine schnelle finanzielle Ausstattung der neuen Bundesländer Steuererhöhungen?
Dringend. Wir können die Finanzmittel nicht unbegrenzt durch Kreditaufnahme beschaffen, weil wir sonst mit ganz Europa in Schwierigkeiten kommen, wenn wir das Zinsniveau zu stark nach oben transportieren. Also Steuererhöhung, und das muß sich dann auch in Ostdeutschland langsam bedarfsgerecht einpendeln.
Wann wird es in Ostdeutschland bergauf gehen?
Ich hoffe dringend, in fünf, sechs Jahren. Einige Zeit wird man aber in einer Talsohle marschieren. Man muß aber nur aufpassen, daß sie nicht zur Tiefebene wird. Denn dann wird auch der Lebensstandard im Westen nach unten absinken. Das Geld für den Osten muß zunächst einmal weithin im Westen verdient werden.
Verdient nicht umgekehrt der Westen am Osten?
Das glaube ich nicht. Die Transferleistungen in den Osten betragen inzwischen an die 100 Milliarden Mark pro Jahr. Es ist gewiß so, daß das Umsatzsteueraufkommen ohne die Einheit geringer wäre, und daß die Wirtschaft da und dort verdient. Natürlich ist es keine Konjunkturankurbelung, durch Verbrauchsgüter das Geld, das die Bundesbank und der Bund nach Ostdeutschland gegeben hat, privatwirtschaftlich wieder abzuschöpfen.
Interview: Barbara Geier
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