piwik no script img

Nach Amerika kommt der Krieg nie

■ Die StudentInnen lassen sich ihren „Fun“ auch vom Ausbruch des Bodenkrieges nicht vermiesen

Madison, Wisconsin (taz) — Ein ganz gewöhnlicher Samstagabend in der Fußgängerzone der Universitätsstadt Madison. Nur der Bänkelsänger versucht an diesem Abend seinen Dylan-Song mit besonderer Emphase vorzutragen, was bei Minus 2 Grad jedoch nur von zwei Zuschauern gewürdigt wird. Die übrige studierte Jugend läßt sich unbeschwert von Kneipe zu Disco treiben. Peinlich sitzen sich Pärchen bei ihren ersten „Dates“ in der Pizzeria gegenüber, ehe sie einander später am Abend dann etwas krampfhaft näherrücken. Aus der Kneipe „Monday“ stürzt gerade ein Knäuel junger Männer heraus, von denen sich zwei vergeblich an den Kragen wollen. Kurzum, auch die Jugend in dem einstigen Mekka der Studentenrevolution läßt sich ihren „Fun“ vom Ausbruch des Bodenkrieges nicht so leicht verderben.

Schräg gegenüber im „Pub“ geht es hoch her. Rausschmeißer und Paßkontrolleure sortieren die Teens aus den Twens heraus und schicken sie zurück. Die Bar ist dicht umlagert, an den Billardtischen herrscht Hochbetrieb. Direkt neben dem Großbildschirm werfen noch nicht Graduierte ihre Pfeile auf die elektronische Dartscheibe mit Digitalanzeige. Daneben ein großformatiger Spielautomat, nein halt, es ist der CNN-Bilschirm. Vorbeizielende Dartpfeile landen wie lasergesteuerte Raketen mitten in Saddams Kellerbunker, dessen Graphik gerade auf dem tonlosen Bildschirm erscheint. Lou Reed singt im Hintergrund seine Ballade von „Romeo and Juliet“. Ein paar Bier verwischen die Unterschiede weiter.

Aber die CNN-Moderatorin aus dem Pentagon trägt heute zur Feier des Tages tatsächlich ein olivgrünes Armeehemd, in dessen Ausschnitt bunter Amazonenschmuck baumelt. „Hat der Bodenkrieg wirklich schon angefangen“, frage ich zur Sicherheit meinen Nachbarn. „Ich hoffe nicht“, lallt der und schaut weiter auf den anderen Bildschirm, auf dem sich ungestört schwarze Basketball-Stars zum „Super Dunk“ in Korbhöhe schrauben. Phoenix führt gegen Seattle im vierten Viertel.

Die kurzbehosten Girls mit dem „Bud“-Schriftzug auf dem Busen schauen animierend von der Bierreklame zu uns herunter. „Geben sie uns noch ein Old Milwaukee vom Faß!“ Auf CNN sehen wir wie die „Bush- und Baker-Boys“ aus der geöffneten Helikopterklappe in den Garten des Weißen Hauses steigen. Dazu muß der ins Studio eingeladene Präsidenten-Historiker etwas Denkwürdiges sagen.

Ausgelassen dreht ein tanzendes Pärchen zum Rock'n Roll zwischen Billard und Dartsportlern seine Pirouetten. Verteidungsminister Cheney gibt gerade stumm der Presse zu verstehen, daß es nichts mehr zu verstehen gibt. Nachrichtensperre, doch hier hört heute abend eh' keiner mehr zu.

Sie ist 20 Jahre, 364 Tage, 11 Stunden und 15 Minuten alt und drängt sich von hinten an den Tresen, um vor Mitternacht noch etwas verfrüht zwei Whiskeys zu bestellen. „Du siehst so traurig aus, worüber schreibst du denn das“, fragt sie. „Ach, über den Krieg, aber der muß doch sein, damit wir die irakischen People von Saddam Hussein befreien.“ Können die das denn nicht selber? „Nein, die wissen ja gar nicht, wie schlimm dieser Diktator ist, deren Presse ist ja zensiert. Come on, cheer up, dies ist mein Geburtstag. Prost!“ Was für ein Tag. „Happy Birthday“.

Sollte es vielleicht altmodisch sein, eine andere Reaktion zu erwarten? „Noch ein Bier, bitte“. Betroffenheit ist schließlich nicht Gewalt auf dem Bildschirm, sondern wenn dich eine Kugel trifft. Aus dem Fernsehstudio grüßt wieder der pensionierte Lehnstuhlgeneral. Mit seinem elektronischen Stift kreist er die Revolutionären Garden an der Südflanke Kuwaits ein. Doch ohne die Wehrpflicht ist das alles weit weg.

Auf der CNN-Leinwand wird erneut der kubanische UN-Botschafter eingeblendet mit seinem Spruch vom frühen Abend: „Dies ist ein amerikanischer Krieg.“ Doch Amerika zieht es immer vor, andernorts in den Krieg zu ziehen. Nach Amerika kommt der Krieg nie. Sonst wäre alles ganz anders. Bestimmt. Auch hier in Madison.

Rolf Paasch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen