: Treuhand wirft Marx-Engels auf den Misthaufen der Geschichte
■ Die Weiterführung der auf 130 Bände angelegten Marx-Engels-Gesamtausgabe ist gefährdet/ Wissenschaftsrat plädiert für die Fortführung
Berlin/Bonn (taz) — Am Freitag sperrte die Treuhand-Anstalt die Konten der Stiftung für die quellenkritische Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA). Das riesige Publikationsvorhaben — von den geplanten 130 Bänden sind 43 bereits erschienen — lief seit fünfzehn Jahren als Gemeinschaftsprojekt des ZK der KPdSU und der SED. Nach der Wende wurde daraus eine „Marx-Engels-Stiftung“ (IMES) mit Sitz in Amsterdam, der die PDS im vergangenen Sommer 27,5 Millionen DM aus ihrem Parteivermögen schenkte. Diese Überweisung tätigte die PDS allerdings ohne die schon damals notwendige Zustimmung der Regierungskommission zur Überprüfung der Parteivermögen. Der Versuch, die Genehmigung nachträglich einzuholen, ist nun offensichtlich gescheitert. Betroffen davon sind zunächst 41 wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche MitarbeiterInnen des Projekts. Nach Angaben der PDS dürfen ihnen nicht einmal mehr die Gehälter für den laufenden Monat ausbezahlt werden. Weitere MitarbeiterInnen des Projekts sind, soweit sie an den Sektionen für Marxismus-Leninismus der DDR-Universitäten angestellt waren, längst „abgewickelt“.
Die PDS sieht darin einen „Akt politisch motivierter Kulturbarbarei“. Eine ad hoc gebildete Initiative engagierter West-ProfessorInnen forderte die Treuhand gestern auf, „alles zu unterlassen, was die sinnvolle und international hochgeschätzte Editionsarbeit verunmöglicht“. Der Initiative gehören unter anderen an: Elmar Altvater, Wolf-Dieter Narr, Martin Jänicke, Achim Giegel, Jürgen Hoffmann, Renate Damus und Bodo Zeuner. Sie argumentieren, „daß heutige und spätere Forschergenerationen die Marx-Engels-Gesamtausgabe brauchen, gleichgültig, ob sie sich damit als Marxisten, Nichtmarxisten oder Antimarxisten auseinandersetzen“. Sie weisen darauf hin, daß die Stiftung nur mit Hilfe einer „Dotation“ der PDS gegründet werden konnte und die Regierung de Maizière damals der Gründung der parteiunabhängigen Stiftung zugestimmt und die Volkskammer ihr die Gemeinnützigkeit zugesprochen habe.
Im übrigen gefährdet die Entscheidung der Treuhand das Vorhaben einer Marx-Engels- Gesamtausgabe bereits zum zweiten Mal in diesem Jahrhundert: Sie wurde von dem später zu den Bolschewiki übergewechselten sozialdemokratischen Historiker Rjassanow begonnen, der 1928 nach der Stalinisierung der KPdSU „als faule Frucht vom Baum der Zweiten Internationale“ aus dem Amt entfernt und später ums Leben gebracht wurde. Seine Mitarbeiter wurden dann in den dreißiger Jahren nach und nach in die Gulags deportiert — der erste Versuch einer MEGA damit gescheitert.
Ganz überraschend kann diese Enscheidung der Treuhand allerdings nicht gefallen sein. Schon am 25.Januar schrieb der Wissenschaftsrat in seine „Empfehlungen zu Akademievorhaben in den neuen Ländern“: Falls die Finanzierung der Marx-Engels-Gesamtausgabe durch die neue Stiftung „nicht langfristig gesichert“ sei, „könnte auch eine Übernahme dieser Edition in das Akademieprogramm in Betracht gezogen werden“. Der Wissenschaftsrat attestierte der MEGA damals, sie werde „nach modernen historisch-philologischen Editionsprinzipien besorgt“. Der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Dieter Simon, erklärte im Januar gelegentlich einer Tagung in Tutzing: „Dieses Projekt soll weiter gefördert und zu Ende geführt werden.“ Götz Aly
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