Snouzeln im Bällchenbad

■ Eine holländische Therapie bewährt sich im Psychatrischen Landeskrankenhaus Emmerdingen

Mildes Licht, sanfte Klänge, auf kleinen Wellen driften Körper und Geist in ein wohlig-warmes Nirgendwo. Pränatalraum nennt sich die Idylle, in der Himmel- und Wasserbett gekreuzt und mit einem Resonanzboden unterlegt wurde: Die Schallwellen übertragen sich auf das Wasserbett und schaukeln den Benutzer in seelige Regressionszustände, die mehr als nur Entspannung bedeuten.

Zielgruppe sind eingesperrte Menschen, die unter einem enormen Defizit an sinnlichen Erfahrungen leiden. Die Geistigbehinderten, die — allzu oft auf Betreiben der Angehörigen — ihr Leben in der geschlossenen Abteilung des psychatrischen Krankenhauses verbringen müssen. Ihr Wahrnehmungsfeld bleibt auf den dumpfen Anstaltsalltag beschränkt, der durch Mahlzeiten und beaufsichtigte Spaziergänge strukturiert wird.

„Snouzel-Zentrum“ nennt sich die Einrichtung, die mit einer Fülle von „primären Reizen“ das Interesse von Geistigbehinderten wecken will. Idee und Begriff stammen aus den Niederlanden: „snouzelen“ (sprich snuselen) ist eine Kreuzung aus „doezelen“ (dösen) und „snuffeln“ (schnüffeln). Denn nicht nur dösen, träumen und wegtauchen in die wohlige Geborgenheit der simulierten pränatalen Einheit ist beim Snouzeln möglich. Auch zum „Schnüffeln“, zu einer aktiven sinnlichen Auseinandersetung mit Dingen und Menschen wollen verschiedene Zonen des Snouzelzentrums anregen: Es gibt einen matrazengepolsterten Toberaum, Tastbretter mit Bürsten, Fahrradklingeln oder Stoffen vermitteln taktile Reize. Zum Reinstürzen lädt das „Bällchenbad“ ein — eine Schaumstoffwanne, die mit etwa 10.000 bunten Plastikbällchen gefüllt ist.

Die Geistigbehinderten reagieren positiv auf das Angebot: „Selbst die, die sonst niemals freiwillig über eine Brüstung klettern würden, steigen mit Begeisterung ins Bällchenbad.“ Der Psychologe Martin Wohlschlegel hat im Psychatrischen Landeskrankenhaus im baden-württembergischen Emmerdingen die Einrichtung eines Snouzelzentrums initiiert — bislang gibt es erst drei solche Versuche im Bundesgebiet. Das Konzept der holländischen Erfinder hat Wohlschlegel überzeugt: „Es beharrt nicht auf den Defiziten der Behinderten, sondern akzeptiert ihre Eigenheiten.“ Das Snouzeln soll den Geistigbehinderten einen lustbetonten Erlebnisraum bieten.

Das macht das dumpfe Leben in der Anstalt nicht nur ein bißchen bunter, sondern verspricht auch einen kleinen Therapieerfolg. Beim Snouzeln lassen sich unbeschadet Aggressionen abbauen, Ängste verlieren und Kontakte finden. „Immer wieder“, erzählt Wohlschlegel, „kommt es gerade auf dem Wasserbett zu fast schon zärtlichen Kontakten zwischen den Männern, die im normalen Alltagsleben niemals entstünden.“

Den Psychischkranken der Anstalt, Neurotikern und Psychotikern, steht das Angebot von Stimulation und Entspannung nicht zur Verfügung. „Sie sollen ja lernen, normale Strukturen aufzubauen“, erklärt die stellvertretende ärztliche Anstaltsdirektorin Gisela Krause. Doch auch wer über die sogenannte „Normalität“ verfügt, kann dem Snouzeln durchaus etwas abgewinnen. Als Entspannung in der Mittagspause wird es vom Klinikpersonal sehr geschätzt — auch wenn man dabei, wie Wohlschlegel aus eigener Erfahrung weiß, „ein so regriediertes Gefühl bekommt, daß es einige Zeit dauert, bis man sich draußen wieder zurechtfindet“. Annette Goebel