Die rückständigen Vorbotinnen

■ Christel Eckarts Studie über Teilzeit zeigt: Frauen sehen darin mehr als eine Notlösung

In frauenpolitischen Zusammenhängen lösten die Veröffentlichungen der Feministin Christel Eckart ausgesprochen kontorverse Diskussionen aus. Denn die Sozialwissenschaftlerin vom Frankfurter Institut für Sozialforschung thematisierte Erwerbsarbeit von Frauen in all ihrer Widersprüchlichkeit schon zu einem Zeitpunkt, als es für die meisten nur die klare Einteilung von einerseits abhängigen Hausfrauen und andererseits ökonomisch unabhängigen Berufstätigen gab — und wir uns darüber im klaren waren, wer die besseren Karten hatte. Daß Emanzipation qua Arbeitsvertrag auch nicht das Gelbe vom Ei ist sondern allenfalls die glänzende Oberfläche, weist Christel Eckart mit ihrer Studie „Der Preis der Zeit — Eine Untersuchung der Interessen von Frauen an Teilzeit“ nach.

Trotz Berufstätigkeit sind die Antagonismen und die Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern nicht aufgehoben. Weiterhin werden, so Christel Eckart, „Fähigkeiten zu kognitiv-intellektueller und zu emotional-affektiver Differenzierung geschlechtsspezifisch geformt und verteilt“. Mit anderen Worten: trotz des Bemühens um Gleichberechtigung und der beruflichen Sozialisation von Frauen ist weiterhin von einer Polarisierung der Geschlechtsrollen innerhalb der Familie auszugehen — ob wir nun damit einverstanden sind oder nicht.

Christel Eckarts Untersuchung ist nur oberflächlich betrachtet ein ausschließliches Arbeitnehmerinnen- Thema; vielmehr erschließt es Zusammenhänge, die die widerspruchsvolle Lebensplanung von Frauen in größere gesellschaftliche Dimensionen stellen, und zwar unabhängig von persönlichen Erfahrungen mit Teilzeitarbeit. Wir erfahren, daß diese Form der Berufstätigkeit nicht lediglich als „Notlösung“ verstanden werden muß. Für Christel Eckart sind teilzeitarbeitende Frauen „Vorbotinnen“, die, gleichsam als Indikatorinnen, über den Zustand der Gesellschaft Auskunft geben können: „Sozialer Fortschritt war mit der Anpassung aller Lebensbereiche an die technische und industrielle Entwicklung gleichgesetzt. Die Lebensbedingungen von Frauen galten als rückständig gegenüber diesem heilbringenden Ziel. Frauen selbst, so sie in der Öffentlichkeit das Wort ergreifen konnten, haben sich zu solchen Zielen differenzierter geäußert und verhalten. Heute sprechen wieder viele Anzeichen dafür, daß die angeblichen Nachzüglerinnen auch Vorbotinnen sein könnten, daß der genaue Blick auf ihre Arbeits- und Lebensverhältnisse Hinweise darauf geben kann, wie gesellschaftliche Arbeit organisiert sein könnte oder sollte.“

Wie kreativ und innovativ Frauen mit Teilzeitarbeit und ihren verschiedenen Lebenssituationen umgehen können, machen die sorgfältigen biographischen Interviews sehr deutlich.

Um ein größeres Verständnis der Frauen aus den neuen und alten Bundesländern füreinander zu entwickeln, scheint es mir sinnvoll, mit dieser Betrachtungsweise den eigenen Standpunkt und den der Frauen aus der DDR herauszufinden anstatt Frauen ausschließlich als die großen Verliererinnen im Einigungsprozeß zu kennzeichnen. Anzuerkennen, wie die Frauen „drüben“ auch unter schwierigeren Bedingungen ihr Leben gestalten und ihren gewonnenen Freiraum nutzen, wäre ein Zeichen der Selbstwertschätzung von Frauen. Denn daß wir uns hüben und drüben im „Geltungsbereich universalisierter Leistungsnormen“ (Eckart) befinden, die es uns ziemlich erschweren, eigene Wertorientierungen zu entwickeln, steht wohl außer Frage. Gisela Wülffing

Christel Eckart: „Der Preis der Zeit — Eine Untersuchung der Interessen von Frauen an Teilzeitarbeit“, Campus Verlag, Frankfurt a. M. 1990