: Polens Parlament in Agonie
Noch eine Woche, dann kann Walesa das Parlament auflösen/ Kein Haushalt, kein neuer Vorsitzender des Rechnungshofes?/ Neuwahlen ohne Wahlordnung/ Walesa baut seine Parallelregierung derweil immer weiter aus ■ Aus Warschau Klaus Bachmann
Als Polens Wähler vor anderthalb Jahren ihre Abgeordneten und Senatoren wählten, da sorgten sie für klare Mehrheitsverhältnisse: Die Regierung Mazowiecki konnte auf eine klare Mehrheit aus Bürgerklub, Demokratischer Partei (SD) und Bauernpartei (ZSL) rechnen, zusätzlich sympathisierten mit ihr auch noch einige Vertreter der Kommunisten. Und im Senat waren 99 von 100 Senatoren Mitglieder des Bürgerklubs. Inzwischen vermag kaum noch ein Abgeordneter zu sagen, wie viele verschiedene Parteien und Gruppierungen es im Parlament gibt und welche davon hinter der Regierung stehen.
Zuerst spaltete sich die PVAP in Sozialdemokratie, Sozialdemokratische Union und Parteilose. Sowohl von SD als auch von ZSL und PVAP liefen Abgeordnete zum Bürgerklub über. Dann entstand nach mehrfachen Spaltungen aus der ZSL und einem Teil des Bürgerklubs die Polnische Bauernpartei PSL und aus einem anderen Teil des Bürgerklubs und einer kleinen Gruppe, die sich ebenfalls Polnische Bauernpartei nannte, die „Polnische Bauernpartei Solidarność“. Der Bürgerklub blieb zwar noch lange zusammen, doch bildeten sich Fraktionen innerhalb der Fraktion: Christdemokraten, Unabhängige Christdemokraten, Nationalkatholische, Linksliberale, Sozialdemokraten, Liberale. Als dann die Mehrheit des Klubs ins Walesa-Lager hinüberschwenkte, traten die Anhänger des bisherigen Klubchefs Prof. Geremek aus und bildeten die „Demokratische Union“.
Daß die parlamentarische Arbeit durch dieses Wirrwarr nicht leichter geworden ist, liegt auf der Hand. Hinzu kommt, daß alle Parteien so schnell wie möglich Neuwahlen wollen. Seit einigen Tagen bekennt sich dazu sogar Präsident Walesa, der die schnellen Neuwahlen, die er im Wahlkampf versprochen hatte, zuerst auf den Herbst verschieben wollte. Das Problem dabei brachte Sejmmarschall Mikolaj Kozakiewicz so auf den Punkt: „Die Parteien sprechen sich zwar alle dafür aus, aber ihre Abgeordneten sind häufig dagegen.“ So ist es auch zu erklären, daß zwar alle schnelle Neuwahlen fordern, ein Wahlgesetz aber immer noch nicht verabschiedet ist. Das einzige, das zur Verfügung steht, stammt vom Runden Tisch und enthält noch die Klausel, wonach der Demokratischen Partei und den nicht mehr bestehenden Kommunisten sowie der ebenfalls nicht mehr bestehenden ZSL 65 Prozent der Mandate zustehen. Außerdem war diese Wahlordnung schon damals nur zum einmaligen Gebrauch bestimmt.
Die Abgeordneten können sich nicht nur nicht darüber einig werden, ob proportional oder mehrheitlich gewählt werden soll und in was für Wahlkreisen, inzwischen wird sogar darüber gestritten, wer Kandidaten aufstellen darf. Jüngster Vorschlag: Nur Parteien sollen dürfen. Nun gibt es inzwischen etwa vierzig verschiedene Parteien in Polen — manche davon mit der Mitgliederzahl einer Fußballmannschaft — große Wahlchancen haben die meisten davon aber nicht. Umfrageergebnisse haben ergeben, daß selbst jene Gruppierungen, denen etwa Expremier Mazowiecki oder der jetzige Staatsminister Jaroslaw Kaczynski vorstehen, im Volk fast unbekannt sind. Gute Aussichten bei Wahlen hätten dagegen PSL, die Gewerkschaft Solidarność, ja selbst die einst kommunistischen Gewerkschaften OPZZ.
Die geringe Begeisterung der Abgeordneten für Neuwahlen hat ihre guten Gründe: Kaum eine der jetzt im Parlament vertretenen Parteien hat die Chance, in gleicher Stärke wieder dort einzuziehen. Das gilt besonders für die aus der PVAP hervorgegangenen Gruppen und die Verlierer des Präsidentenwahlkampfes. Die Gewinner dagegen setzen auf einen starken Präsidenten und nicht auf ein starkes Parlament. Und der Präsident hat um so mehr Handlungsfreiheit, je zerstrittener das Parlament ist. Die Zeit ist ohnehin auf Lech Walesas Seite — noch zehn Tage, und er kann das Parlament schlicht auflösen.
Laut Verfassung hat der Präsident dazu das Recht, wenn das Parlament nicht innerhalb von drei Monaten ein neues Budget verabschiedet. Gezählt wird ab Einbringung des ersten Budgetentwurfs. Die Frist geht am 28. Februar zu Ende. Das Budget ist indessen längst nicht die einzige Angelegenheit, die unter die Räder des Parlaments gekommen ist. Schon seit einem Jahr sucht das Parlament einen Nachfolger für den bisherigen Chef des Obersten Rechnungshofes, General Hupalowski. Der stammt noch aus der Mannschaft von General Jaruzelski und wird deshalb permanent von Walesas Mannen angegriffen. Der Senat hat nun den BÜrgerrechtler und Senator Zbigniew Romaszewski vorgeschlagen. Worauf der Sejm ihn mit einfacher Mehrheit ablehnte und statt dessen Wieslawa Ziolkowska vorschlug. Die entstammt der Sozialdemokratischen Union und war bis Januar letzten Jahres Mitglied der PVAP und erhielt — so sagt sie bis jetzt undementiert — den Segen von Präsident Walesa, der im Wahlkampf der Nomenklatura den Kampf ansagte. Im Wahlkampf wurde Walesa allerdings von der Führung der Union unterstützt, die damit reihenweise Parteiaustritte auslöste. Daß der Senat die Exkommunistin bestätigt, ist nicht zu erwarten.
Die Regierung Bielecki ist da auch nicht zu beneiden. Sie besteht überwiegend aus Liberalen und Mitgliedern anderer Gruppierungen, die wiederum im Parlament kaum eine Basis haben. Bielecki muß sich zwangsläufig auf den Präsidenten stützen. Walesa baut seine Parallelregierung im Belvedere immer weiter aus. Zu den Abteilungen für Außenpolitik, Innere und Äußere Sicherheit, Soziales und Wirtschaft ist inzwischen noch ein Sicherheitsbüro hinzugekommen. Der Präsident zieht indessen auch schon mal Kompetenzen an sich, die gar nicht bei ihm liegen. Zuletzt kündigte er die Bildung einer inneren Kontrollkommission zur Durchleuchtung des Obersten Rechnungshofes an. Der aber untersteht dem Sejm. Einstweilen jedenfalls noch.
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