: Was soll ich mit dem Eiffelturm?
■ Vom 8. bis 23. Februar 1992 finden zwischen Albertville und Val d'Isère nach Chamonix (1924) und Grenoble (1968) zum dritten Mal Olympische Winterspiele in den französischen Bergen statt
(taz) — In einem Jahr werden Medaillen gezählt. Die XVI. Olympischen Winterspiele in Albertville sollen dem deutschen Wintersport einen nie erlebten Triumph bescheren. „Das ist ja schlimmer als bei den eifrigsten DDR-Funktionären“, kommentieren inzwischen ostdeutsche AthletInnen die Zahlenspielerei mit möglichen Olympiasiegen nach Weltmeisterschaften und vorolympischen Wettbewerben dieses Jahres. Acht Goldmedaillen schneite es dabei: vier im Biathlon, zwei im Bob- und Rodelsport. Wenn sie die Eisschnelläufer dazurechnen, die nur Mehrkampfmeister ermittelten, treibt es deutschen Sportfunktionären den Schweiß der Vorfreude auf die glänzende Stirn.
Aber auch in anderen Ländern steigt einen Sommer vor dem olympischen Winter die Spannung. Am 8. Februar lud IOC-Präsident Samaranch 165 Nationale Olympische Komitees zu den Spielen ein. In vier Monaten werden die Meldungen von mehr als 57 Länder erwartet, die 1988 in Calgary dabei waren. Einer der beiden Präsidenten des Organisationskomitees (COJO), der dreifache Olympiasieger im alpinen Skisport Jean-Claude Killy, beruhigte indessen die Terminskeptiker: „Wir sind mit allem fertig, was 365 Tage vor den Spielen fertig sein sollte.“ Das sah lange nicht so aus, denn noch vor einem Jahr trat Killy wegen der Querelen um die alpinen Skiwettbewerbe entnervt zurück und staunte: „Ich hätte nicht gedacht, daß Weidezäune ein Hindernis für ein Weltereignis darstellen könnten.“ Hintergrund waren Proteste der Gemeinderäte gegen die Verlegung der Slalomstrecken von Tignes nach Val d'Isère. Inzwischen ist Killy wieder im Amt und alles läuft auf die Erfüllung von Präsident Fran¿ois Mitterands Wunsch hinaus: „Albertville soll Symbol einer europäischen Renaissance werden.“
Geschäftlich ist man auf dem besten Wege. 243 Millionen Dollar für die Fernsehrechte von CBS, die französische Regierung und der „Club Coubertin“, ein Pool von zehn Sponsoren, erlauben ein Budget von 800 Millionen Dollar. In Albertville wird zum Beispiel extra ein Amphitheater für die Eröffnungsfeier gebaut, das anschließend wieder abgerissen und teilweise verkauft werden soll. Aber nicht nur die 30.000-Einwohner-Gemeinde, sondern die gesamte Region soll profitieren. „Unser Konzept sind keine Spiele für die Stadt sondern Berg-Spiele“, verteidigt COJO-Präsident Killy das Ereignis der langen Wege. Die Wettkampfstätten liegen rund 95 Kilometer auseinander. Deshalb sollen die SportlerInnen auch in mehreren Olympischen Dörfern wohnen. Rund eine Million BesucherInnen werden nach einem ausgeklügelten System per Bus kostenlos durch die Gegend gekarrt. Die Übersicht behält man nur in Albertville, wo auf einer großen Leinwand Entscheidungen und Siegerehrungen übertragen werden.
Bis dahin sollen auch die Turbulenzen der Testwettbewerbe vergessen sein. Die Konkurrenzen der Skispringer und Nordisch-Kombinierten in Courchevel wurden vom Januar in den April verlegt. Buchstäblich „im Sande“ verlief der Test der Eisschnelläufer in Albertville, weil die Freiluftbahn bei Sandsturm nur mäßige Zeiten zuließ. Abfahrt und Super-G in Val d'Isère fielen starken Schneefällen zum Opfer. Nur die LangläuferInnen und BiathletInnen in Les Saisies konnten ihre Strecken einigermaßen ausprobieren. Die Rennrodler und Bobfahrer trafen sich erst im März, weil es Probleme mit der Bahn in La Plagne gab.
Erst durfte die neue Rodelbahn nicht aufgebaut werden, dann wurde sie falsch aufgebaut. Rodelbundestrainer Sepp Lenz schimpft: „Weil die Bahn vereist wurde, ohne den Beton zu unterkühlen, gibt es Hohlstellen im Eis.“ Außerdem aalt sich die Anlage in der prallen Sonne, so daß die Weltcuprennen in ungewöhnliche Abendstunden verlegt werden mußten. Die Oberhofer Wolfgang Hoppe und Réné Hannemann gewannen vorgestern im Zweierbob vor den Italienern Huber/Tartaglia und den Schweizern Weder/Gerber. Aber 59 Schlitten haben die Bahn derart ramponiert, daß die Viererrennen am Wochenende zeitweilig in Frage standen. Bürgermeisterin Colette Pavier-Salomon hat die Widersprüche ihrer neuen Sehenswürdigkeit bereits erkannt: „Die Bahn ist großartig wie der Eiffelturm, aber wir wissen nicht, was wir damit anfangen sollen.“
Jean-Claude Killy läßt sich auch davon in seinem Optimismus nicht bremsen: „Was auch immer zu tun ist, die Winterspiele finden statt.“ Dann werden 55 Olympiasieger gekührt, zum ersten Mal im Frauenbiathlon, Buckelpistenski und Kurzstrecken-Eisschnellauf. Über allem prangt das Symbol der Spiele: Eine Gemse, die ein Auge zukneift und einen Vorderhuf hochreißt. Symbolisch. bossi
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen