piwik no script img

Mordanklage im IRA-Prozeß auf wackligen Füßen

Im Mord-Prozeß im niederländischen Roermond wurde die wichtigste Zeugenaussage als „äußerst unzuverlässig“ eingestuft  ■ Von Harald Doornbos

Roermond (taz) — Im Prozeß gegen die vier mutmaßlichen IRA-Mitglieder, die im Mai 1990 im niederländischen Roermond zwei australische Touristen ermordet haben sollen — der Anschlag galt nach Ansicht von IRA-Fahndern britischen Militärs — dürfte die gestrige Aussage des wichtigsten Zeugen an Bedeutung verloren haben. Trotz der Tatsache, daß der Mordanschlag von einer Vielzahl von Passanten beobachtet worden war, gibt es nur eine Zeugin, eine 48jährige Frau, die in der Lage war, die Täter zu beschreiben.

Die Zeugin erklärte, daß nur kurze Zeit vor dem Anschlag gegenüber ihrem Haus ein Auto gestohlen worden sei, das wenig später bei der Ausführung des Anschlags verwendet wurde. Einen der Täter, Sean Hicke, identifizierte die Zeugin vor Gericht als den Fahrer des Wagens. Die Anwälte der vier Angeklagten jedoch hatten schon im Vorfeld des unter großen Sicherheitsvorkehrungen stattfindenden Prozesses erklärt, daß sie die Zuverlässigkeit dieser wichtigsten Zeugin der Anklage in Zweifel zögen. Die Frau, die immer wieder ausgesagt hat, daß sie den Fahrer deutlich habe erkennen können und ohne Mühe als Sean Hicke hier im Saal identifizieren könne, hat offenbar nur 24 Stunden nach dem Anschlag gegenüber der Polizei eine ganz andere Geschichte erzählt: „Ich konnte nicht mal sehen, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelte“, so die Version in erster Instanz. Als die Zeugin gestern mit dieser ihrer eigenen Aussage konfrontiert wurde, wollte sie diese weder bestätigen noch abstreiten: „So habe ich das damals wahrscheinlich gar nicht gemeint, und ich kann mich auch nicht daran erinnern, warum ich das damals so behauptet habe“, sagte die Zeugin zu ihrer Entschuldigung.

Die Staatsanwaltschaft hatte sich lange Zeit gegen die Anhörung der Frau gewehrt, mit der Begründung, daß „aufgrund der Aktionen der IRA für die Zeugin ihr Erscheinen ein großes Risiko darstellt“. Der Richter lehnte diesen Antrag jedoch ab und lud die Zeugin.

Am Tag zuvor hatte die Verteidigung den bekannten Psychologen Professor Wagenaar geladen. Der Gerichtsgutachter erklärte, daß die Frau möglicherweise Sachverhalte erkannt habe, die sie gerne erkennen wollte, jedoch nicht wirklich wahrgenommen haben muß. Wagenaar, der schon im Prozeß gegen den Kriegsverbrecher Demjanjuk als Sachverständiger aufgetreten war, qualifizierte die belastende Aussage der Zeugin als „äußerst unzuverlässig“. Der Prozeß wird noch etwa zwei Wochen dauern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen