Totaler Sieg der Kriegslogik

■ Nach dem Ende des Golfkrieges KOMMENTARE

Kuwait ist befreit. Am Golf herrscht Waffenruhe. Doch die Freude hierüber bleibt im Hals stecken angesichts des totalen Sieges, den die Kriegslogik in den letzten sieben Monaten über die Politik und die Idee der nichtmilitärischen Konfliktlösung errungen hat. Clausewitz, weilte er noch unter uns, hätte seine helle Freude. Kein Waffengang seit 1945 hat so sehr beigetragen zur Rehabilitierung des Krieges als einer „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“, wie der fünfeinhalb Monate lang systematisch vorbereitete, sechswöchige Vernichtungsfeldzug und der „strahlende Sieg“ (Bush) gegen die bisher als viertstärkste Armee der Welt gehandelten irakischen Streitkräfte. Das gilt innenpolitisch in den USA, wo die traumatische Niederlage in Vietnam nun endgültig wettgemacht ist, wie — zumindest in den Ländern des Nordens — international.

Mit Ausnahme weniger kleiner Regionalkonflikte, in die die USA und/oder die UdSSR weder direkt noch indirekt verwickelt waren, fanden alle Kriege und Bürgerkriege der letzten 45 Jahre innerhalb der Parameter der West-Ost-Auseinandersetzung statt. Das gilt für Vietnam, Afghanistan, Korea oder Nicaragua ebenso wie für die Waffengänge zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn und für die achtjährige Schlacht zwischen Irak und Iran.

Der Feldzug gegen Irak war der erste Nord-Süd- Krieg, der zwischen Ost und West (im Norden) nicht mehr umstritten war. Die UdSSR hat sich zwar nicht aktiv militärisch daran beteiligt und sich in der letzten Phase — vergeblich — darum bemüht, das Schlachten abzukürzen. Doch durch ihr Verhalten in der UNO seit August 1990 ist die Regierung Gorbatschow mitverantwortlich für die Dynamik, die — frühzeitig absehbar — in diesen Krieg führte und damit auch für den Krieg selbst. Anders als noch bei den militärischen Interventionen der USA in Vietnam, Grenada, Nicaragua und Panama oder der Bombardierung Libyens haben auch fast sämtliche westliche Staaten diesen Krieg voll unterstützt. Das gilt auch für diejenigen, die keine eigenen Soldaten auf das Schlachtfeld entsandt haben.

Die — von der Bonner Koalition immer noch nicht voll offengelegte — umfangreiche Kriegsteilnahme der Bundesrepublik Deutschland durch Bereitstellung von Geld, Waffen, Munition, Logistik und Transportkapazitäten ist sogar weit bedeutsamer, als etwa die Truppen der Italiener oder die Schiffe der Niederländer.

Der schnelle militärische Erfolg über Saddam Husseins Streitkräfte ist ein Warn- und Einschüchterungssignal für die Dritte Welt. Nicht nur für die zumeist von West und/oder Ost aufgerüsteten Diktatoren jeglicher Ausrichtung, sondern auch für demokratische Regierungen oder Bewegungen für Befreiung und politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit und Souveränität.

Der glatte, schnelle, in den eigenen Reihen äußerst verlustarme Sieg im Golfkrieg wird diese Tendenz verstärken und insgesamt die Befürworter nichtmilitärischer Konfliktlösung noch mehr in die Defensive drängen. Ein Beleg hierfür ist auch die Idee eines vom Norden kontrollierten Nichtweiterverbreitungsabkommens für Massenvernichtungswaffen und konventionelle Tötungsinstrumente. Genau dieses, und nicht etwa das Ziel der Abrüstung, versteckt sich hinter der Vokabel „regionale Rüstungskontrolle“, die Baker oder Genscher in diesen Tagen als Baustein der „neuen Ordnung“ im Nahen Osten und anderswo fordern. Gemeinsam wollen Washington, Paris, London und Bonn kontrollieren, wer welche Waffen bekommt und wer nicht. Mit der Variante, daß Moskau nun in diese gemeinsamen Entscheidungen eingebunden werden soll. Die Logik bleibt jedoch die gleiche wie in den letzten 20 Jahren, als die Länder des Nahen Ostens zwecks „Bewahrung der Stabilität“ gleichgewichtig hochgerüstet wurden. Der kleine, aber nicht entscheidende Unterschied: Künftig sollen sie statt „Tornado“- oder „MIG 23“-Kampfflugzeugen die „Patriot“-Abwehrrakete und ihre schon in der Entwicklung befindlichen Nachfolgesysteme erhalten — in der Illusion, daß dieses den Aufrüstungswettlauf mit offensivfähigen Raketen stoppen werde.

Am Ende des Kalten Krieges zwischen Ost und West ist der heiße Krieg zwischen Nord und Süd möglich und weitgehend akzeptiert. Diese bittere Feststellung ist weder ein Plädoyer für die Rückkehr zur Ost-West-Konfrontation noch dafür, sich Diktatoren wie Saddam Hussein nicht entgegenzustellen oder Agressionen und Völkerrechtsverletzungen einfach hinzunehmen. Tragisch an dem jetzt durch den Sieg auf dem Schlachtfeld vordergründig beendeten Konflikt ist jedoch, daß die Befürworter nichtmilitärischer Druckmittel jetzt noch mehr in der Defensive sind als zuvor. Andreas Zumach