piwik no script img

EG-Streit um einheitliche Fernsehnorm der Zukunft

■ Für Fernsehen in Kinoqualität müßten Verbraucher tiefer in die Tasche greifen

Brüssel (dpa/vwd) — Millionen europäischer Fernsehzuschauer müssen für den Empfang von Satellitenprogrammen wohl bald tiefer in die Tasche greifen. Die Europäische Gemeinschaft plant, für die Übertragung aller TV-Programme zwingend eine einheitliche Übertragungsnorm (D2-MAC) einzuführen. Es gibt in der Brüsseler EG-Kommission Überlegungen, die den Übergang zum hochauflösenden Fernsehen in Kinoqualität (HDTV) erleichtern sollen. Ein offen entbrannter Streit zwischen dem Betreiber des ersten privaten Satellitensystems „Astra“ und den industriellen Marktführern Philips (Holland) und Thomson (Frankreich) wirft aber Zweifel an dieser Strategie auf und bringt die EG ins Schleudern.

Hintergrund der Auseinandersetzungen ist eine EG-Richtlinie von 1986, die bis Ende dieses Jahres erneuert werden muß und in der die EG den damals existierenden Satelliten die neue MAC-Norm vorgeschrieben hat. Das galt als erster Schritt zur Förderung der europäischen Version des hochauflösenden Fernsehens, die bei den Olympischen Spielen 1992 in Albertville und Barcelona erstmals mit Pilotsendungen demonstriert werden soll. Von 1995 an soll die hochauflösende Norm HD-MAC dann im Handel geläufig sein.

Die Realität des Marktes hat diese Strategie aber inzwischen überflügelt: Die in den Orbit geschossenen Hochleistungssatelliten TDF1 und TV-Sat wurden wegen technischer Pannen unattraktiv — und damit auch der MAC-Standard. Rasch füllten neue private Betreiber von direktausstrahlenden Satelliten wie „Astra“, Eutelsat oder Kopernikus die Marktlücke — mit dem Schönheitsfehler, daß sie ihre rund 40 Programme (unter anderen RTLplus, 3SAT, SAT.1 und Sky-TV) mit der herkömmlichen PAL- oder Secam-Norm übertragen. Das Ergebnis: Von den 77 Satellitenprogrammen, die in der EG über Kabel oder Schüsseln in 26 Millionen Fernseh-Haushalte gelangen, werden 57 Prozent in PAL und nur 34 Prozent in MAC gesendet.

Angesichts der Tatsache, daß heute noch kein Fernsehgerät mit der europäischen Norm MAC im Handel ist, würden mit einer EG-weiten Verpflichtung erhebliche Kosten anfallen: zum „Dekodieren“ der Programme für PAL-Empfänger und — laut einem internen Arbeitspapier der EG-Kommission — nicht zuletzt für den Verbraucher. Höhere Kosten der Kabelgesellschaften würden dem Zuschauer aufgebürdet, und dieser bräuchte neben der Parabolantenne noch ein Zusatzgerät, will er nicht vor der schwarzen Mattscheibe sitzen.

Der Betreiber von Astra, die Societe Européenne des Satellites (SES/Luxemburg), argumentiert, daß die Übertragungsnorm D2-MAC auf dem Weg zur Kinoqualität nicht notwendig ist. Die EG plane aus technologischen Gesichtspunkten an den Gegebenheiten des Markts vorbei. Eine Ausdehnung der Richtlinie auf alle Satelliten wäre eine „unzulässige Marktintervention“ und würde rund zehn Millarden Mark (fünf Mrd ECU) Gesamtinvestitionen in den Schornstein jagen.

Doch auch die EG-Kommission ist gespalten. Der luxemburgische Kulturkommissar Jean Dondelinger steht hinter Astra, Forschungskommissar Filippo Maria Pandolfi auf der Seite von Philips und Thomson, die Milliarden in die neue MAC- Fernsehgeneration investiert haben. Der deutsche Kommissar Martin Bangemann soll — vielleicht auch angesichts der wundersamen Schüssel-Vermehrung in Osteuropa — einen liberalen Ansatz verfolgen.

Das Brüsseler Papier macht allerdings unmißverständlich klar: „Der Verzicht auf (D2-)MAC wäre ein Verzicht auf das (hochauflösende) HD-MAC“, und wenn dessen Kommerzialisierung über 1992 hinaus verzögert würde, wäre es das Ende der gesamten Strategie, die europäische „Kinoqualität“ gegen Japan und die USA weltweit durchzusetzen. Das Überleben der EG-Industrie in der Verbraucherelektronik hänge davon ab, heißt es weiter, ob sie dabei „in einem angemessenen rechtlichen Rahmen“ am schnellsten und besten sein könnte. Marina Zapf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen