: Halbdemokratie weggeputscht
Stimmenkauf können sich nur reiche Geschäftsleute leisten/ Parlamentarier schanzen sich Regierungsaufträge zu/ Ob die Militärs derlei politische „Gepflogenheiten“ beseitigen, ist fragwürdig ■ Von Hans U. Luther
Die Machtübernahme durch Einheiten des Militärs in Bangkok am Morgen des 23. Februar hat nicht nur ausländische Beobachter, sondern auch die thailändische Bevölkerung überrascht. Seit Jahren gilt ein Militärputsch als Anachronismus in einem Land „auf dem Wege zur Demokratie“, das für die Konsolidierung seines Wirtschaftsbooms von Tourismus und ausländischen Direktinvestitionen abhängig ist. Als weiteres Hindernis für militärische Interventionen in die politische Arena, die über lautes Säbelrasseln hinausgehen, gilt der krisenanfällige lokale Aktienmarkt. Viele Militärs sitzen in den Aufsichtsräten großer Firmen und spekulieren in Aktiengeschäften. Ein Militärcoup — und das wissen alle — ist Gift für die Börse und bedeutet herbe Kursverluste. Es müssen daher außergewöhnliche Gründe vorgelegen haben, welche die Militärs zur Auflösung des Parlaments und zur Erklärung des Kriegsrechts bewogen haben. Hinzu kommt noch, daß der Putsch unblutig verlaufen ist, mit einem nur symbolischen Einsatz von Panzern. Dies deutet darauf hin, daß sich die Militärs in ihrer Mehrheit über die „Notwendigkeit“ des Coups einig waren und daß es wohl auch vorherige Absprachen gegeben hat.
Nährboden für die wahrscheinlich nur vorübergehende Machtübernahme durch den Oberkommandierenden der Streitkräfte, General Sunthorn, ist ein lange schwelender Konflikt zwischen der Zivilregierung des Generalmajors Chatichai und den militärischen Führern über die weitverbreitete Korruption der Koalitionsparteien. Um einen Parlamentssitz zu erobern, müssen die Kandidaten bis zu eine Million Mark (etwa 16 Milionen Baht) für den landesüblichen Stimmenkauf investieren. Diese hohen „Investitionskosten“ haben dazu geführt, daß sich vor allem reiche Geschäftsleute um einen Parlamentssitz bewerben und dann versuchen, über die Mitarbeit in Ausschüssen bei der Vergabe von Regierungsaufträgen ihre Ausgaben mit hohen Zinsen wieder einzutreiben. Da die thailändische Regierung unter Premierminister Chatichai große Programme zur Verbesserung der Infrastruktur (Verkehr, Straßenbau, Industriezonenen, Kommunikations- und Nachrichtenwesen) eingeleitet hat, gab es für Kabinettsmitglieder und Parteiführer reichlich Gelegenheit, die Kassen für die nächsten Wahlen und auch die eigenen Taschen zu füllen. Durch Vetternwirtschaft und Bestechung von Kritikern sowie Oppositionsparteien wurde der Kreis der Begünstigten ständig vergrößert. Es stiegen aber auch Staatsverschuldung und Inflation.
Diese Entwicklung veranlaßte den früheren Oberkommandierenden der Streitkräfte, den „intellektuellen General“ Chavalith, der selbst für eine Zeit Kabinettsmitglied war, von „Bussiness-Parteien“ zu sprechen, die nur auf ihre persönliche Bereicherung bedacht seien, Parteien voller Gleichgültigkeit gegenüber der Zukunft der Nation. Um seine Forderungen nach einer „sauberen“ Politik Nachdruck zu verschaffen, gründete er Ende 1990 die „Partei der Neuen Hoffnung“, die mit einem populistischen Programm an die Macht kommen möchte. Es bleibt nun abzuwarten, inwieweit General Chavalith mit der Putschgruppe in Verbindung steht. Bei Neuwahlen im Herbst dieses Jahres hätte er gegen die gutgeschmierten Wahlorganisationen der etablierten Parteien bestenfalls 10 Prozent der Stimmen gewonnen und wäre in den Reihen der Opposition gelandet. Die Putschgeneräle sind seine früheren Untergebenden.
Der andere Konfliktpunkt zwischen der Zivilregierung und den Militärs ist komplizierter. Es geht dabei um die Frage der Einmischung in „militärische Angelegenheiten“. Faktisch läuft das auf ein Veto der Militärs bei politischen (und insbesondere außen- und personalpolitischen) Regierungsentscheidungen hinaus. Stein des Anstoßes war die Ernennung eines früheren Militärmachthabers, General Arthit, zum stellvertretenden Verteidigungsminister gegen den ausdrücklichen Wunsch der führenden Militärs. Dagegen bestand der inzwischen unter Arrest gestellte Premierminister Chatichai auf seiner Position, das Militär müsse neutral bleiben und eine demokratisch gewählte Regierung dürfe sich nicht den Forderungen der Generäle beugen, ohne Stück für Stück ihre Legitimation zu verlieren.
Doch trotz aller Wahlrituale und parlamentarischen Institutionen ist Thailand sicher nicht eine Demokratie im westlichen Sinne, sondern — wie die Thais selber sagen — eher eine Halbdemokratie. Der Putschgeneral Sunthorn sprach daher in seiner ersten Presseerklärung von einer „parlamentarischen Diktatur“, die nun beseitigt werden müsse. Das Militär hat die geltende Verfassung außer Kraft gesetzt und will nun Vorschläge zur Überwindung des korrupten Systems und für eine politische Alternative zur Chatichai-Regierung ausarbeiten lassen.
Thailand ist trotz seiner Schwellenland-Ambitionen und hohen Wachstumsraten noch immer eine Ein-Drittel-Gesellschaft, wo zwei Drittel der Bevölkerung bisher an der vorwiegend auf die wenigen Städte konzentrierten Prosperität kaum einen Anteil hatten. Ob durch Militärherrschaft und politische Umbesetzungen sich auch die Umverteilung des Volkseinkommens zugunsten der ländlichen Massen verbessern wird, bleibt nach bisherigen Erfahrungen und trotz aller Beteuerung der Militärs eher fragwürdig. Das Wort für „Politik“ heißt in Thai „gan muang“ — damit sind Dinge gemeint, die in der Hauptstadt geschehen. Und von denen hat die Bevölkerung auf dem Land außer üppig verteilten „Wahlgeldern“ bisher nur wenig gehabt.
Der Putsch kommt für Thailand zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Gerade hatte sich die Börse vom Ölpreisschock im Gefolge des Golfkrieges wieder erholt, doch die Einnahmen durch den Tourismus sind um 40 Prozent zurückgegangen. Wenn nun noch die Wirtschaftshilfen gestoppt werden und sich die ausländischen Investoren zurückhalten, gibt es in den kreditabbhängigen Wirtschaftssektoren einen heftigen Abschwung. Die öffentliche Meinung steht gegen die Militärs. Ihnen traut man die Lösung der brennenden sozialen und ökologischen Probleme noch weniger zu als den korrupten Politikern. Daher ist es für die Militärführer, wenn sie untereinander einig sind, relativ leicht, die Staatsmacht an sich zu reißen und die Zivilregierung in den Urlaub zu schicken. Fast unmöglich aber wird es für sie sein, bei der Bevölkerung Zustimmung zu finden und sich als Tutoren einer „neuen Demokratie“ zu empfehlen. Thailand ist nicht Indonesien oder Burma, wo die Bevölkerung seit langem an staatliche Unterdrückungsmaßnahmen gewöhnt worden ist. An der Reaktion der Thais wird sich schon in den nächsten Wochen zeigen, ob der Militärputsch in diesem Land noch immer ein praktikables Mittel der politischen Auseinandersetzung ist.
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