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Rote Socken auf lila Papier

■ Wie ein Ossi versuchte, den Super-Ossi an den Ostler zu bringen — Ein DDR-Report

Semesterferien. Mit Tusma gegen den Zusammenbruch, denkt sich der Neubundesbürger vorm Stellenbrett der studentischen Arbeitsvermittlung. Es gähnt die Leere, nur in der äußersten Ecke klemmt ein Zettelchen mit einem Angebot. »Suchen Zeitungsverkäufer. Morgens und nachmittags. Lohn 30 Pfennig pro Zeitung. BISEM GmbH.« Ansonsten keine Details.

Nach einer Woche das erste Gespräch mit dem Arbeitgeber. Name: Super-Ossi, auch Neubundesbürger. Ein Boulevardblatt, zwar links, aber mit diesem aberwitzigen Namen und dazu noch in Lila ! Doch stärker als alle Skrupel ist die satte Provision.

Die neue Zeit beginnt am nächsten Morgen um 4 Uhr 45 bei 14,5 Grad unter Null auf dem S-Bahnhof Warschauer Straße. Erste Probe für den mühsam selbst erdachten Slogan zwischen Aufschwätzigkeit und Peinlichkeit. »Der Super-Ossi, Berlins jüngste Tageszeitung!« — »Halt's maul Du rote Sau«, schallt es zurück. Dann Schweigen am Treppenaufgang. Diesen Schock gibt's alle zehn Minuten, mal »Rote Socke«, mal »Stasi-Schwein«. Erst als das wärmende Palästinensertuch abgelegt ist, läuft das Geschäft besser. Insbesondere Frauen Mitte vierzig greifen den Ossi vom Stapel. Nach zwei Stunden sind von 250 ganze 70 Exemplare weg.

Wechsel des Verkaufsreviers. Die fahrende U-Bahn zwischen Pankow und Grotewohlstraße und der Bahnsteig am Alex scheinen bessere Alternativen. Der Zug verläßt den Bahnhof, sachliche Vorstellung des Produkts, seiner Vision und seiner Macher. Neugier kämpft im Fahrgast gegen den morgendlichen Anonymitätsdrang. Als eine Frau die Börse zückt, beginnt eine Kettenreaktion. »Was, da schreiben nur Ossis dran?«

»Gib mal her«, meinen die einen, die den Super-Ossi als Ehrentitel nehmen. Für die meisten ist er Schimpfwort: »Ost-Zeitung? Ne, wollen wir nicht, hatten wir ja vierzig Jahre lang.« Innerhalb einer Stunde sind 180 Super-Ossis weg.

Im abendlichen Berufsverkehr sind die Leute munterer und neugieriger. Auf dem U-Bahnsteig böse Blicke von der Konkurrenz, den Berlin-Kurier-VerkäuferInnen, ein reinrassiges Schweineblatt. Eine Gruppe Kiez-Teenager, unverkennbar vom West-Ufer der Spree, reagiert mit Gelächter. Alle Wessis grinsen, wenn sie »Super-Ossi, 50 Pfennig« hören. Immerhin: zwei Tage lang beläuft sich der Verdienst bei Feierabend auf eine durchschnittliche Ost-Rente.

Erst der dritte Tag rückt die Verhältnisse wieder zurecht. »Ein Fünfziger ist ja ganz schön happig jeden Tag«, meint die Rentnerin. »Laß mich doch mit deinem Markus- Wolf-Blatt in Ruhe«, erregt sich ein Aktenkofferträger ohne Ledermantel. Die Frau um fünfzig will »das Drecksblatt verbieten«. Sie sei Deutsche und kein Ossi. »Stasi-Schwein, verpiß dich.« — »Super-Ossi, Super- Ochse!« Ossi-Allergie. Der Humor reicht nicht mehr weit. Auch wenn der Inhalt besser ist als die Verpackung. Nur ein paar Wessis fragen noch schüchtern, ob sie denn als Nicht-FNLer den Ossi kaufen dürften. Mit der Kasse geht es abwärts.

Der siebte Verkaufstag ist der der Ruhe und des Herrn. Kein Ossi-Tag. Ganze hundert Stück sind am Alex noch abzusetzen. Den Rest mit nach Hause schleppen? Nicht mal umsonst wollen die Kioskbesitzer den Stapel nehmen. »Behalt die mal alleine, bei mir kaufen den auch nur zwei oder drei.« Die Dialektik von Ost-Inhalt und Westverpackung ist gescheitert. Super verkauft sich gut. Aber super und links? Steffen Knoblau

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