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Thüringer Kaligrubensterben

Die Ära des „weißen Goldes“ geht in Thüringen zu Ende/ Die Kumpel vom Kaliwerk „Glück auf“ in Sondershausen werden 100. Jubiläum nicht feiern  ■ Von Jochen Wiesigel

Erfurt. In zwei Jahren hätten die Kumpel des Kaliwerkes „Glück auf“ in Sondershausen das 100jährige Bestehen ihres Betriebes feiern können. Doch das Jubelfest fällt aus. Sondershausen in Thüringen, eines der ältesten Bergwerke in Europa, wird ebenso geschlossen wie die Gruben von Volkenroda, Bleicherode und Solchstedt. Mit dem Grubensterben geht eine Ära zu Ende, die mit der Erfindung der Mineraldüngung durch Justus Liebig vor einem Jahrhundert in dieser Gegend begann. Betroffen sind nicht nur die Kalibergwerke, sondern eine ganze Region, die von der Förderung des „weißen Goldes“ abhängt.

Nach Angaben aus der Vorstandsetage der Mitteldeutschen Kali AG werden in den nächsten Wochen 1.453 Bergleute in Sondershausen und Umgebung ihre Kündigung erhalten. Der Aufsichtsrat beschloß die Stillegung einstimmig, denn ohne „Gesundschrumpfungen“ sei der Konzern nicht lebensfähig. Viele Menschen in und um Sondershausen fühlen sich „verraten und verkauft“, wie Pfarrer Alfred Klonz sagt. Die Menschen seien verbittert, weil sie das Gefühl bekämen, nicht mehr gebraucht zu werden.

Dazu gehört auch Walter Woitasky, der seit Juli des vergangenen Jahres auf „Kurzarbeit Null“ sitzt. Der 52jährige Bergmann hat seit seinem vierzehnten Lebensjahr im Kaliwerk Sondershausen gearbeitet. Seine gleichaltrige Frau Ursula, deren Arbeitsplatz ebenfalls gefährdet ist, hat ihn zum Arzt geschickt. „Er nimmt jetzt täglich Medikamente“, gesteht sie, „denn die nervlichen Belastungen sind nun anders kaum auszuhalten.“ Während Woitasky weiter grübelt, wie er die Durststrecke bis zur Pensionierung überstehen soll, kann Lutz Felgendreher noch lange nicht an Rente denken. Der 31jährige ist vom Schichtleiter zum wissenschaftlichen Mitarbeiter aufgestiegen. Einst hatte er zu den wenigen gehört, die ein Bergbaustudium im Ausland absolvieren durften und gilt als qualifizierte Fachkraft. Doch das nützt ihm auch nichts: Spätestens ab 1. Juli wird auch Felgendreher auf der Straße stehen. Um nicht von Arbeitslosenunterstützung leben zu müssen, wollen er und seine junge Frau in die Finanzberatung einsteigen. Dies sei neben Versicherungsvertreter derzeit die einzige Berufsperspektive für sie.

Die Stimmung auf den Straßen in Sondershausen sei gedrückt, sagt Pfarrer Klonz. Der alte Bergmannsgruß „Glück auf“ ist nicht mehr zu hören. Im Café „Pille“, dem Umschlagplatz der täglichen Neuigkeiten, griffen jetzt viel mehr Bergleute als früher zur Schnapsflasche, sagt ein Taxifahrer. An den Tischen fallen harte Worte gegen die Regierung, doch keiner will seinen Namen nennen, als stecke ihnen noch immer — oder schon wieder — die Angst in den Knochen.

Sondershausens Bürgermeister Joachim Kreyer sagt, die um sich greifende Hoffnungslosigkeit mache ihm vor allem zu schaffen. „Wir dürfen nicht untätig abwarten und wie das Kaninchen auf die Schlange starren.“ Kreyer macht sich Gedanken, wie Sondershausen zu einem Kur- und Erholungsort umgestaltet werden könnte. Noch müsse viel getan werden, um die Stadt mit ihrer angegriffenen Bausubstanz herauszuputzen. Allein die Sanierung des Schlosses verschlinge so viele Mittel, daß die Gemeinde diese nicht allein aufbringen könne und Unterstützung durch das Land benötige. Dennoch könne Sondershausen zu einem kulturellen Zentrum Nordthüringens werden. Die geplanten Sondermülldeponien in den stillgelegten Kaligruben halten den Bürgermeister, der selbst viele Jahre im Bergbau gearbeitet hat, nicht von seinen ehrgeizigen Plänen ab. „70 Millionen Kubikmeter Hohlraumvolumen, das wäre schon ein Kapital. Doch so dürfen wir einfach nicht rechnen. Wir würden damit in Sondershausen vielleicht 120 Arbeitsplätze schaffen, dafür aber die Ansiedlung von vielen kleinen und mittleren Unternehmen verhindern. Und wer redet dann noch vom ,grünen Herzen Deutschlands‘, wenn es den Müll der Nation in solchen Größenordnungen aufnehmen müßte.“

Am Montag sprachen Betriebsräte der Mitteldeutschen Kali AG beim thüringischen Wirtschaftsminister Hans-Jürgen Schultz vor und forderten das ein, was im Tarifvertrag vom 29. September 1990 festgelegt wurde: die soziale Absicherung der von Entlassung betroffenen Kalikumpel. Schultz versprach, dazu im Kabinett eine Vorlage einzubringen. ap

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