: "Heavy Petting"
■ Eltern, Sünde, Petticoats
David Byrne erzählt schüchtern lächelnd von den verschiedenen Kuß-Arten beim ersten Rendezvous; Marilyn Monroe gesteht im tief ausgeschnittenen Kleid dem coolen Halbstarken in Lederjacke, daß sie vor ihm schon mehrere Männer „gekannt“ habe, und ein sehr energischer Kommentator warnt vor dem Sündenpfuhl, denn „sechzehn von neunzehn Zivilisationen sind zugrunde gegangen, nicht durch die Stärke ihrer Gegner, sondern durch den moralischen Verfall.“
In den 50er Jahren war die Sexualität eine so toternste Angelegenheit, daß man heute darüber nur noch ausgiebig lachen kann. Nach diesem Konzept hat Obie Benz seinen Kompilationsfilm „Heavy Petting“ zusammengestellt. Er zeigt Ausschnitte aus Lehr-und Aufklärungsfilmen, die in ihrer Naivitat und Prüderie heute grandios lächerlich wirken. Dazu schnitt er Schlüsselszenen aus Kultfilmen, in denen James Dean, Marlon Brando oder die Monroe deutlich machen, warum Amerika den Kampf gegen die „Sünde“ nur verlieren konnte.
Benz hatte schon mit seiner Produktion „Atomic Cafe“ die komischen Möglichkeiten des Dokumentarfilms entdeckt, und bei uns wurde dieses Genre mit dem „Nierentisch“-film und der „Aufklärungsrolle“ schnell wieder totgeritten. Da lachte man nach einer halben Stunde schon nicht mehr so laut, weil im Grunde nur Variationen des gleichen Witzes gezeigt wurden.
„Heavy Petting“ ist dagegen viel geschickter zusammengesetzt. Neben den Szenen aus „The Wild One“, „Rebel without a Cause“ und den „Lehrfilmen“ mit Titeln wie „How to say No“ oder „Perversion for Profit“ sprechen unbekannte und berühmte New Yorker wie Byrne, Laurie Anderson, Allen Ginsberg und William S. Burroughs über ihre sexuellen Erfahrungen und Schwierigkeiten in dieser Zeit. Diese Statements sind zum Teil genauso witzig wie das Archivmaterial, aber sie bewirken noch etwas anderes: dadurch, daß sich diese Erwachsenen von heute an ihre ersten Zungenküsse, das Onanieren oder die Kämpfe mit den Büstenhaltern erinnern, wird dem Lachen die Häme genommen. Wir schauen nicht mehr nur überheblich auf die einfältigen 50er Jahre herunter, sondern sehen auch, daß die so arg von ihren Trieben gebeutelten Jugendlichen von damals heute genauso aussehen wie das Publikum im Kino. Wilfried Hippen
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