: Geschichte(n) von Gewalt und Widerstand
■ Heute endet in Nürnberg ein Frauenkongreß mit dem Thema "Frauenstrategien gegen Unterdrückung, Krieg und Rüstung". Auf Einladung des Vereins "Frauen in der Einen Welt" berichteten Aktivistinnen...
Geschichte(n) von Gewalt und Widerstand Heute endet in Nürnberg ein Frauenkongreß mit dem Thema „Frauenstrategien gegen Unterdrückung, Krieg und Rüstung“. Auf Einladung des Vereins „Frauen in der Einen Welt“ berichteten Aktivistinnen aus Asien, Lateinamerika, Europa, Afrika und dem Nahen Osten über ihren täglichen Widerstand.
AUS NÜRNBERG UTE SCHEUB
Als unsere Schwestern von den Lebensbedingungen in Nordirland erzählten, dachten wir, sie redeten von Zypern“, staunte eine Zypriotin. „Die Frauen aus Zypern leben wie wir, als Flüchtlinge im eigenen Land“, ergänzte eine Palästinenserin. Trotz aller Unterschiede in den zahlreichen Konfliktregionen dieser Welt machte der seit Montag in Nürnberg tagende Kongreß dem internationalen Publikum das große Wiedererkennen möglich: Da Frauen weltweit von den gleichen Mächten bedroht werden — Militärs, Magnaten und Männergesellschaften —, müssen sie bei Strafe des eigenen Untergangs auch versuchen, sich weltweit dagegen zu wehren. Die Konferenz bot eine Fülle von Informationen darüber an, mit welchen fantasievollen, mutigen, verzweifelten Aktionen Frauen Widerstand leisten. Hochkonzentriert hörte frau sich gegenseitig zu, horchte auf, fragte nach und lernte dazu.
Es war vor allem der sorgfältigen Vorbereitungsarbeit der Veranstalterinnen eines Nürnberger Vereins mit dem Namen „Frauen in der Einen Welt — Zentrum für interkulturelle Frauenalltagsforschung und internationalen Austausch e.V.“, zu verdanken, daß sich die Atmosphäre so produktiv entwickeln konnte. Anderthalb Jahre lang hatten diese Frauen mit äußerst knappen Mitteln diese Konferenz vorgeplant. Monatelang sammelten sie Adressen, um Basisaktivistinnen und gestandene, oftmals mit Verfolgung und Gefängnis bedrohte Oppositionelle an einen Tisch zu bekommen.
Aber nicht alle konnten kommen, und die Gründe dafür gehörten bereits direkt zu den Themen des Kongresses: Guadalupe Callocunto, vom „Dienst für Frieden und Gerechtigkeit“ (SERPAJ) aus Peru, war nach ergangener Einladung im Juni letzten Jahres entführt worden. Wie bei Tausenden von anderen in diesem von Elend und Bürgerkrieg gebeutelten Land steht zu befürchten, daß sie tot ist. Und einer palästinensischen Vertreterin aus den israelisch besetzten Gebieten wurde wegen der immer noch anhaltenden Ausgangssperre die Ausreise verweigert.
Für viele aus Lateinamerika Angereiste war dieser Kongreß die erste Möglichkeit in ihrem Leben, Frauen aus den fernen Kulturkreisen Afrikas und Asiens zu treffen. „Es gab ein Schweigen zwischen uns“, spielte Gladys Acosta vom peruanischen „Feministischen Zentrum Flora Tristan“ in ihrem Eingangsreferat auf die schlechten Kommunikationsmöglichkeiten zwischen den Ländern der sogenannten Dritten Welt an, „ich aber möchte einen großen Schrei gegen den Krieg loslassen, der alles bedroht“. Auch Lateinamerika sei aus Krieg und Repression entstanden, „die Edelmetalle und mit ihnen das Blut von Millionen Indios haben Europa industrialisiert. Jetzt stürzt uns die Schuldenkrise in neue Armut und in die Negation von Entwicklung.“ Die militärische Gewalt zerstöre jedes soziale Leben, und unter den „unmenschlichen“ Lebensbedingungen „verwandeln Epidemien wie die jetzige Cholera leicht heilbare Kranke in Tote“.
Ein Beispiel besonderer Art ist die Philippinin Nelia Sancho Liao, deren Essay über die politische Unterdrückung und sexuelle Ausbeutung asiatischer Frauen verlesen wurde, weil sie wegen Krankheit verhindert war. Unter Diktator Marcos war sie zur philippinischen Schönheitskönigin gekürt worden, doch gerade dieses luxuriöse Leben politisierte sie so sehr, daß sie als Mitglied der Befreiungsbewegung in den Untergrund ging und später einige Zeit im Gefängnis saß. Heute ist sie eine zentrale Figur in der Frauengruppe „Gabriela“ und Koordinatorin des philippinischen Menschenrechtsrats. Die US-Basen und der Tourismus hätten 800.000 Frauen in Thailand und 400.000 minderjährige Mädchen in die Prostitution getrieben, berichtete sie. Mit verächtlicher Miene bezeichneten die GIs diese Frauen nun als „LBFM“ — „little brown fucking machines“.
Frauen aus Südafrika trugen Probleme des Rassismus vor. Martha Liberty*, Aktivistin des ANC, die wegen Widerstands gegen die Sicherheitskräfte im Knast gesessen hatte, grüßte mit der Faust und rief die Frauen in aller Welt dazu auf, in der Frage der Sanktionen nicht nachzulassen. „Staatspräsident de Klerk macht seit 1990 viel Lärm im Parlament. Er imponiert der Welt, aber nicht uns, dem unterdrückten Volk. Nur die Reichen können seine neuen 'offenen Schulen‘ weitab von den Armenvierteln besuchen. Wir aber wollen gleiche Erziehung für alle.“ Martha Liberty war allerdings eine der wenigen, die sich „in der falschen Veranstaltung“ wähnten, da sie den bewaffneten Kampf unterstützt hatte, während viele andere Frauen vor allem Projekte der Versöhnung vortrugen.
Auch der Unterschied zu zwei weiteren südafrikanischen Frauen — einer weißen und einer schwarzen — war deutlich. Felicity Smith* und Nduga Monde* arbeiten in einer gemischten Solidaritätsgruppe im Township Imbali. Ihre „Versöhnungsarbeit gegen Repression, Verfolgung und Gewalt der Sicherheitskräfte und der Inkatha-Organisation“ entstand ebenfalls durch eine Versöhnungsgeste, als ein Weißer die Familie eines bis zur Bewußtlosigkeit gefolterten schwarzen Jungen besuchte. „Und seitdem benutzen wir unsere Körper, um die verfeindeten Gruppen zu trennen — Armee und ANC, ANC und Inkatha.“
Von der zerstörerischen Spaltung einer ganzen Gesellschaft wußten auch die Frauen aus Nordirland und Zypern zu berichten. „Es gibt keine Familie in Nordirland, die nicht persönlich betroffen wäre“, spielte die Presbyterianerin Kathleen Mayor* auf die unzähligen Bürgerkriegsopfer an. Die Gräben zwischen den Religionen und Kulturen seien inzwischen so tief, daß die Menschen auf beiden Seiten des Grabens nichts mehr voneinander wüßten. „Und deshalb“, formulierte sie ungewollt das Motto der auf der Konferenz vieldiskutierten Scheherazade-Frauenaktion (siehe Kasten), „ist es so wichtig, daß wir unsere Geschichten erzählen. Es gehört zum Radikalsten, daß wir den Personen auf der anderen Seite zuhören. Hinterher sind wir nicht mehr dieselben.“
„Auch wir kommen aus einer amputierten Gesellschaft“, begannen Niki Katsiaouni und Eleni Mallinson von der zypriotischen Gruppe „Women walk home“. Seit 1974 ist Zypern, „wo Griechen und Türken jahrhundertelang in friedlicher Nachbarschaft wohnten“, durch die Invasion der türkischen Armee geteilt, „und wir wurden zu Flüchtlingen im eigenen Land“. 1.600 Menschen sind seitdem vermißt, Nikosia ist die letzte geteilte Stadt in Europa. Aber „alle haben unser Problem vergessen, und in den UNO-Resolutionen finden wir uns auch nicht wieder“. Zwischen 1987 und 1989 hat ihre Gruppe deswegen mit zuerst 300, dann 2.000 und 5.000 Frauen einen „Marsch nach Hause“ organisiert — über die scharf bewachte Grenzlinie hinweg „zu unseren türkischen Schwestern“. Sie wurden angegriffen, verletzt, mißhandelt, verhaftet und zurückgeschickt, doch sie gaben nicht auf.
Die Palästinenserin Renée Abul- Ella, die nach jahrzehntelanger Odyssee nunmehr in Berlin lebt, fühlte sich an die Situation ihres Volkes erinnert, „die wir seit 1948 kennen“. Auch Felicia Langer, die seit dem Sechstagekrieg 1967 Tausende von PalästinenserInnen verteidigt hat und nunmehr in Tübingen lebt, wies eindringlich auf deren Situation hin: „Der nächste Krieg ist schon zu riechen.“ Die „schlechteste Anwältin der Welt“, die so viele ihrer Mandanten vergeblich gegen Menschenrechtsbrüche und Folter zu schützen versuchte, beschwor die Deutschen, ihr Schuldgefühl gegenüber den Juden nicht dadurch zu kompensieren, daß nun der israelischen Regierung das Wort geredet werde: Ihr Konfrontationskurs schade der Bevölkerung, „und meine Definition, was pro-israelisch ist, lautet anders: die israelische Friedensbewegung stärken“. Die zweite Generation in Israel habe ebenfalls Schuldgefühle gegenüber den PalästinenserInnen, und „eines Tages werden auch die Deutschen sich ihnen gegenüber schuldig fühlen, wenn sie sich immer wieder mundtot machen lassen“.
Roni Ben Efrat, ehemalige Mandantin von Frau Langer, gehört zu den „Frauen in Schwarz“, die seit Beginn der Intifada jeden Freitag in schwarz gekleidet zwischen ein und zwei Uhr in mittlerweile 30 israelischen Städten gegen die Besatzung demonstrieren. Dazu gehört nicht wenig Mut, denn die Frauen, die von der Polizei geschützt werden müssen, sind Beschimpfungen, Drohungen, Tomaten- und Eierwürfen ausgesetzt. Nach Beginn des Golfkrieges, erzählte sie, habe es heftige Debatten gegeben, ob sie ihre Aktion weiterführen sollten. „Würden uns die Israelis als fünfte Kolonne ansehen?“ Doch die Frauen in Schwarz entschieden sich mehrheitlich für eine Weiterführung und stehen seit dem 15. Feburar wieder jeden Freitag auf der Straße: „Auch wenn wir weniger geworden sind, zeugt es von der inneren Kraft der Bewegung.“
Roni Ben Efrat ist auch Mitglied des Organisationskomitees „Women for Peace“, einer Koalition von zehn verschiedenen Frauengruppen, die im Dezember 1989 zu einer israelisch-palästinensischen Demonstration durch Jersualem aufrief. Diese arbeitet wiederum mit dem „Frauen- Friedens-Netzwerk“ zusammen, das trotz der jüngsten Pressionen bei seiner Antikriegshaltung blieb. Und vor zwei Wochen, berichtet sie, hätten palästinensische und israelische Frauen gemeinsam beschlossen, einen Hilfskonvoi mit folgender Botschaft „an unsere palästinensischen Schwestern“ in die Lager zu schicken: „In diesen schwierigen Tagen wiederholen wir unsere Solidarität mit eurem Kampf für Selbstbestimmung ... Wir rufen die Regierung zu einer internationalen Nahost-Konferenz auf. Stoppt den Ausnahmezustand! Für die Errichtung eines palästinensischen Staates!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen