: “Wir konnten uns immer aufrecht verbeugen!“
■ Die Schauspielerin Margit Carstensen über Heymes Theater und das wunderbare Anspielen gegen Buh-Stürme
Margit Carstensen, geb. 1940, hat zu Anfang der Siebziger, mit Rainer Werner Fassbinder und Wilfried Minks, ihre Karriere in Bremen begonnen. Seit 1981 ist sie bei Heyme und hat in dieser Zeit, von Mega-Erfolgen abgesehen, allerlei Angriffe erduldet. Aber von wegen. Nach wie vor denkt sie, daß Heyme in Bestform ist, wenn er mit dem Rücken an der Wand gegen eine Welt von Feinden ficht.
Günther Erken : Hat es die Arbeit mit Heyme nicht unnötig beschwert, daß es immer wieder gegen Unverständnis und Mißverständnisse etwas zu beweisen galt?
Margit Carstensen: Ich war immer skeptisch, wenn etwas zu gut ankam. Unbegründete, blindwütige Ablehnung hat mich dagegen stolz gemacht. Das war schon bei Fassbinder so. Es war wunderbar, mit der Gruppe herumzuziehen und gegen die Buh-Stürme anzuspielen. Und da wir auch bei Heyme künstlerisch stets ein gutes Gewissen hatten, konnten wir uns immer aufrecht verbeugen, um es paradox zu sagen. Die Probleme reduzierten sich auf die Frage des Durchhaltens.
Die Vorwürfe gegenüber Heyme laufen immer auf zweierlei hinaus: Er sei ein Schulmeister, der mit dem Zeigefinger interpretiere, und er sei schlechthin unverständlich. Welch kolossaler Widerspruch schon zwischen diesen Haupteinwänden! Natürlich ist Heyme so von unserer Zeit geprägt und von deutscher Geschichte geschädigt, daß er das nicht mehr kann, was ewig und überall am besten ankommt: eine Handlung auf der Bühne naiv zu bebildern, die simple, geradezu dumme Darbietung von Stückabläufen. Die kommt bei manchen Regisseuren scheinbar anspruchsvoll daher, wenn sich die Schauspieler psychopathisch gebärden, aber es bleibt im Grunde primitiv.
Heyme ist einerseits anspruchsvoller und bemüht sich andererseits, seinen Anspruch geradezu erzieherisch deutlich umzusetzen. Mir geht es ebenso. Wenn ich eine Figur spiele, möchte ich sie so darstellen, daß sie jedem begreifbar wird, aber nicht indem ich ihre Durchschnittlichkeit, sondern indem ich ihre Extrempunkte zeige, die Abstürze wie die leuchtenden Momente.
Ich glaube wie Heyme nicht, daß der Zuschauer nur Voyeur ist und sich ansehen will, wie in einer perfekt erzählten Geschichte fremde Leute so herrlich leiden. Ich glaube vielmehr, daß der Zuschauer erlebnisfähiger ist und teilnehmen möchte an starken seelischen Vorkommnissen. Ich suche, und Heyme auch, die emotionalen Extreme, damit etwas von dem begriffen wird, was das Stück will, und nicht nur angeschaut wird, wie hübsch es abläuft. Interview: Günther Erken
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