: Teurer Garant für Versorgung
■ Kassenärztliche Vereinigung: Umstrukturierung der Polikliniken verläuft viel zu schleppend/ Poliklinikärzte von Entscheidungen ausgeschlossen
Berlin. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) drückt mächtig auf die Tube. Obwohl der Einigungsvertrag einen Zeitraum von fünf Jahren für die Auflösung der staatlichen Polikliniken vorsieht, kann es der KV nicht schnell genug gehen. »Wir können nicht die Soziallast eines abgewrackten Staatssystems übernehmen«, mäkelte der KV-Vorsitzende Manfred Richter-Reichhelm am Mittwoch, die Umstrukturierung in Gemeinschaftspraxen und Ärztehäuser verliefe viel zu schleppend.
Interessant: Mitglied in der KV sind alle niedergelassenen Ärzte der Stadt — seit der Vereinigung also auch die Ärzte in den Ostberliner Polikliniken. Vertreten werden sie durch den von allen Mitgliedern gewählten Vorstand. Dieses Wahlrecht durften zumindest die Ostberliner Ärzte bislang aber nicht wahrnehmen, Vorstandswahlen fanden seit Oktober nicht statt. Somit blieben die Ärzte aus dem Ostteil der Stadt bislang auch bei sämtlichen Finanzentscheidungen außen vor: Immerhin ist die KV der entscheidende Verhandlungspartner der Krankenkassen.
Richter-Reichhelm weiß jedoch auch so, daß Vorbehalte und finanzielle Gründe Haupthindernisse für den zügigen Prozeß der Umstrukturierung sind. Darüber hinaus habe man nicht damit gerechnet, daß der Großteil der etwa 50 Ostberliner Polikliniken baulich in so schlechtem Zustand sei. Angesichts knapper Kassen könne von der Kommune jedoch schlecht die Modernisierung verlangt werden. Aber auch der KV flattert das Hemd: Wird die Abschlagszahlung für die Polikliniken noch bis zum 30. Juni von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung übernommen, müssen danach die Landesverbände ran. Die fürchten Übervorteilung: Die festgelegten Abschlagszahlungen beruhen auf Angaben der Einrichtungen vom letzten Jahr, in der Zwischenzeit könnten sich Ärzte jedoch bereits frei niedergelassen haben: Dann zahlt die KV womöglich zuviel. Ende März sollen neue Angaben vorliegen.
Bernd Köppl, gesundheitspolitischer Sprecher der AL, sieht in der drängenden Haltung der KV eine »bewußte Ignoranz gegenüber den Anforderungen an eine sichere ambulante Versorgung der Ostberliner Bevölkerung«. Durch materiellen Druck und Verunsicherung wolle die KV die freie Niederlassung der Ostberliner Ärzte erzwingen. Sie rede von »unwirtschaftlichen Einrichtungen«, obwohl zwei Studien anerkannter wissenschaftlicher Institute nachgewiesen hätten, daß Polikliniken weniger nichtärztliches Personal vorhalten als niedergelassene Ärzte. Nach den Worten Richter-Reichhelms jedoch würden sich »viele Probleme lösen«, wenn medizinisches Fachpersonal aus den überbesetzten Polikliniken neue Jobs in westlichen Bezirken annähme. maz
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