: Im Osten fühlen sich viele „verkohlt“
■ Die bröckelnde brandenburgische FDP-Basis wählte alten LDPD-Chef ab/ FDP-Vorsitzender Lambsdorff befürchtet eine antiwestliche Identität im Osten/ Rückgabe soll Priorität behalten
Cottbus. Eine gefährliche Stimmungslage unter der Bevölkerung in den neuen Bundesländern konstatierte FDP-Vorsitzender Dr. Otto Graf Lambsdorff auf dem 1. Landesparteitag der brandenburgischen Liberalen. Neben der Angst um den Arbeitsplatz beginne nun auch Hoffnungslosigkeit um sich zu greifen. „Viele Bürger hier fühlen sich von den Politikern buchstäblich verkohlt“, eine antiwestliche Identität drohe zu wachsen. Es gelte zu verhindern, daß zwei Neidgesellschaften in Deutschland entstünden. „Die alte Bundesrepublik ist schön genug und kann für ein paar Jahre darauf verzichten, noch schöner zu werden“, sagte Lambsdorff unter dem Beifall der Delegierten.
Der Landesverband hat mit Dr.Johannes Kney dem letzten Vertreter der alten Führungsriege aus der SED-Blockpartei LDPD eine Absage erteilt. Neuer Landeschef wurde Kneys Mitbewerber, der 50jährige Gastronom Manfred Fink. Seit dem Vorjahr hatten 4.000 von 18.000 Mitgliedern den aber immer noch viertgrößten Landesverband der FDP verlassen.
Lambsdorff, der als erster im Wahlkampf 1990 die Koalitionsparteien auf eine striktes Nein zu Steuerhöhungen festgelegt hatte, lobte die Entschlossenheit der Bundesregierung zu Steuererhöhungen. Bisher hätten sie an Wirtschaftsaufschwung und Einheit gut verdient, jedoch wenig bezahlt. Der FDP-Vorsitzende wies darauf hin, daß nach dem Jubeljahr 1990 durch die Ereignisse im Baltikum und den Golfkrieg bei einem Teil der Bevölkerung in den Altbundesländern die Probleme in den neuen Ländern verdrängt worden seien. „Viele bewegt mehr, daß nach Boris Becker nun auch Steffi Graf den Platz 1 der Tennis-Weltrangliste räumen mußte.“
Die Treuhand gehöre ins Wirtschaftsministerium zu seinem Parteikollegen Möllemann, forderte Lambsdorff, da sie mit ihren Entscheidungen auch wirtschafts- und strukturpolitisch wirke. Privatisierung bleibe aber der Hauptweg zum Aufschwung. Lambsdorff bekräftigte seine Position, daß Rückgabe nach 1949 enteigneten Eigentums vor Entschädigung gehe. Zugleich müßten die Ausnahmeregelungen so erweitert werden, daß die Treuhand und die Kommunen handlungsfähig würden.
Der neue Landesvorsitzende Fink äußerte sich enttäuscht zum Auftritt Lambsdorffs, von dem er konkretere Hinweise für die Arbeit in Brandenburg und eine tiefergehende Analyse der Lage in den neuen Bundesländern erwartet habe. Mehrere Delegierte widersprachen offen dem Bundesvorsitzenden und bezeichneten die angeregte Erweiterung von Ausnahmeregelungen als nicht ausreichend. Sie forderten wesentlich kürzere Entscheidungsfristen, besonders bei Sonderinvestitionsvorhaben. adn/taz
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