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Griechenlands „Jahrhundertprozeß“

Heute beginnt das Verfahren gegen Ex-Ministerpräsident Papandreou und drei ehemalige Minister  ■ Aus Athen Robert Stadler

„Sie sollen es wagen, ihn zu verurteilen“, grollt mit bedrohlichem Unterton die Mehrheit der PASOK-Funktionäre. Geschlossen stehen sie hinter ihrem Vorsitzenden Andreas Papandreou, wenn heute um 9.30 Uhr der oberste Richter Vassilis Kokkinos in festlichem Talar den Prozeß gegen den Ex-Premier und drei seiner früheren Minister eröffnet. Die Anklage lautet auf Anstiftung zum Betrug, Veruntreuung staatlicher Gelder, Bestechlichkeit im Amt und Annahme von Diebesgut.

Zur Last gelegt wird den Angeklagten die Verwicklung in einen Skandal, der die damalige Regierung Papandreou zu Fall brachte. Im Mittelpunkt des Falles stand neben den Erwähnten der Ex-Verleger und Bankier Giorgios Koskotas.

Das einstige wirtschaftliche Wunderkind hatte sich Mitte der 80er Jahre innerhalb kürzester Zeit vom kleinen Bankangestellten zum Besitzer der „Bank von Kreta“ gemausert. Wie so schnell aus dem Habenichts ein Krösus werden konnte, flog im Oktober 1988 unter tatkräftiger Mithilfe der Athener Presse auf.

Koskotas hatte Unsummen Geldes von der „Bank von Kreta“ unterschlagen, führte es illegal aus und importierte es als „eigenes“ wieder nach Griechenland. Insgesamt beziffert man den Schaden auf 200 Millionen Dollar. Der Verhaftung durch die griechischen Behörden entzog sich der „Bankier“ durch eine abenteuerliche Flucht, die schließlich im Dezember 1988 in Boston in den Vereinigten Staaten hinter Gittern endete. Auch dort wird Koskotas eine Liste von 64 Vergehen vorgeworfen.

Von seiner Zelle aus überschüttete er in der Folge Papandreou sowie eine Reihe anderer sozialistischer Funktionäre mit Vorwürfen, die jeden Dallas-Autoren als Heidi-Epigonen disqualifizieren. In den Jahren 1987 und 1988 seien laut Koskotas einige Milliarden Drachmen in die Taschen verschiedenster PASOK- Genossen gewandert. Die vorübergehende Auslieferung des „Jahrhundertbetrügers“, um ihn beim Prozeß als Zeugen zu verhören, wurde von den USA abgelehnt.

Die Weiterleitung von Andreas Papandreou an ein Sondergericht bewirkten jedoch nicht die zum Großteil unbewiesenen Aussagen von Koskotas — die auch in vielen Punkten Widersprüchlichkeiten aufweisen —, sondern in erster Linie die politische Konstellation in Griechenland nach den Wahlen im Juni 1989. Vereint in der Regierung des „Historischen Kompromisses“ verdonnerte die konservative Nea Demokratia gemeinsam mit der kommunistisch dominierten Linkskoalition mit ihrer Mehrheit im Parlament Papandreou zum morgen beginnenden „Jahrhundertprozeß“.

Im Falle des PASOK-Vorsitzenden und des ehemaligen Wirtschaftsministers Tsovolas ging die Initiative für eine strafrechtliche Verfolgung nicht von der Staatsanwaltschaft, sondern von der zufälligen Sitzverteilung im Parlament des Sommers 1989 aus. Aus diesem Grund bestand von Anfang an die Möglichkeit, den von der Nea Demokratia und der Linkskoalition initiierten Prozeß als Vendetta zwischen politischen Gegnern zu interpretieren.

Die Strategie Papandreous zielt genau darauf ab und wird von der gesamten PASOK mitgetragen. Er wird dem Verfahren fernbleiben und auch keine Verteidiger akzeptieren, „um ihm nicht den leisesten Anschein von Rechtmäßigkeit zu geben“. Diese Melange aus Justiz und Politik kommt auch in der öffentlichen Meinung zum Ausdruck. Laut einer Umfrage der Wochenzeitschrift 'ENA‘ glaubt jeder zweite Grieche, daß das Sondergericht im Falle Papandreous nicht objektiv entscheiden wird.

Wenige Tage vor dem heute beginnenden Prozeß wünschte sich der konservative Ministerpräsident Mitsotakis sogar, daß Papandreou freigesprochen würde, und in der Linkskoalition gibt es nicht wenige Stimmen, die im nachhinein die Weiterleitung des Chefs der Sozialisten an ein Sondergericht als einen politischen Fehler betrachten.

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