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Serbien schützt sich mit Panzern vor der Opposition

■ In Belgrad herrschte am Sonntag, wenige Stunden nach den schwersten gewalttätigen Auseinandersetzungen der jugoslawischen Nachkriegsgeschichte, gespannte Ruhe. Garantiert wurde diese...

Serbien schützt sich mit Panzern vor der Opposition In Belgrad herrschte am Sonntag, wenige Stunden nach den schwersten gewalttätigen Auseinandersetzungen der jugoslawischen Nachkriegsgeschichte, gespannte Ruhe. Garantiert wurde diese Ruhe durch ein Großaufgebot an Kampfpanzern im Zentrum und an den Ausfallstraßen der Hauptstadt.

AUS BELGRAD ROLAND HOFWILER

Ausnahmezustand in der jugoslawischen Hauptstadt. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg haben Kampfpanzer in der Belgrader Innenstadt Position bezogen, seit Samstag abend patrouillieren gepanzerte Armeefahrzeuge und mehrere tausend Polizisten in den Straßen des Zentrums. An allen großen Kreuzungen im Innenstadtbereich und an den Ausfallstraßen hat die Armee Stellung bezogen; wer an diesem Sonntag morgen in die Hauptstadt will, muß sich ausweisen. Belgrad ist eine belagerte Stadt. Slobodan Milosevic, der serbische Präsident, hatte noch am Vorabend den Befehl erlassen, alle verfassungsmäßigen Mittel einzusetzen, um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen und die „Hooligans“ zu verhaften.

Begonnen hatte alles am Samstag nachmittag mit gewalttätigen Straßenschlachten zwischen antikommunistischen Demonstranten und der Polizei — die schwersten Auseinandersetzungen, die Belgrad in den letzten Jahrzehnten erlebt hat und bei denen nach offiziellen Angaben zwei Menschen getötet und 76 verletzt wurden. Anlaß für die Massenschlägerei im Zentrum war eine Demonstration der serbischen Nationalisten gegen die uneingeschränkte Kontrolle des Rundfunks durch die regierenden Sozialisten von Slobodan Milosevic. Eigentlich sollte die Demonstration nach dem Willen der Behörden am Stadtrand stattfinden. Doch Zehntausende Arbeiter, die seit Monaten keinen Lohn mehr gesehen hatten, Zehntausende Studenten und Intellektuelle, die in den Lehrplänen ihrer Schulen und in den Medien nichts außer kommunistischer Propaganda vorgesetzt bekommen, durchbrachen das Demonstrationsverbot, das die Regierung für die Innenstadt verhängt hatte. So zogen annähernd 70.000 Demonstranten an diesem Nachmittag durch die Straßen der Innenstadt und riefen: „Wir sind hier nicht in Albanien“, „Wir wollen Demokratie“, „Gebt uns Freiheit, gebt uns Brot“ und „Milosevic = Saddam Hussein — ab mit ihm in die Wüste“.

Allzu weit kamen die Demonstranten allerdings nicht; an der Fußgängerzone, Ecke Kneza Mihaila und Francuska, standen bereits die Wasserwerfer. Ohne Vorwarnung griff die Polizei mit Wasserwerfern, Tränengas und Knüppeln an. In den ersten Reihen gingen einige gleich zu Boden, das Gas war ätzend. Ehe man sich's versah, zogen einige „Demonstranten“ ihre Knüppel — die Geheimpolizei, sie schlug gnadenlos zu. Da ließen sich auch die Demonstranten nicht mehr aufhalten: Der erste Tote hieß Nedeljo Kosovic, ein V-Mann. Bereits nach wenigen Minuten war nicht mehr klar, wer denn eigentlich wen verprügelte. Doch niemand rannte davon, immer mehr Passanten mischten sich ein, die Masse errichtete Barrikaden aus Mülltonen und Pkws, warf mehrere Polizeifahrzeuge um und steckte sie in Brand. Die Wasserwerfer und die Polizeikordons mußten zurückweichen. Daraufhin machte sich der Zug auf zum Platz der Republik; unterwegs gingen dabei alle Fensterscheiben zu Bruch: Banken, Geschäfte, kleine Boutiquen — kein Schaufenster kam ungeschoren davon.

Am jugoslawischen Parlament und in den umliegenden Parkanlagen hatte sich die Polizei neu formiert, Panzerfahrzeuge fuhren auf. Stundenlang lieferten sich auf dem Platz der Republik Uniformierte und Demonstranten eine blutige Schlacht. Blutüberströmte Menschen lagen wehrlos auf dem Platz, kein Sanitäter war zur Stelle. Ich eilte zu einem Freund — er lebt in der Kosovska, einer Nebenstraße hinter dem Parlamentsgebäude, im Druckhaus der kommunistischen Tageszeitungen Serbiens. Der Hausflur war voller Polizisten, alle verunsichert. Aber man ließ mich gehen.

Das Fernsehen berichtete live, plötzlich flimmerte die Realität unzensiert über die Mattscheibe, nicht wie sonst üblich verzerrt. Aber wenige Stunden später schon war es wieder wie früher: „Studio B“, der unabhängige Sender, war von Militärs besetzt und bereits abgeschaltet worden, „Studio A“ meldete, am Nachmittag sei „Studio B“ von „Terroristen“ besetzt worden. Den Freunden war sofort klar: Die Redakteure waren verhaftet worden und würden in den nächsten Tagen wegen „Aufruhr“ angeklagt — Mindeststrafe: fünf Jahre.

Spät abends dann die Meldung, Vuk Draskovic, der Führer der serbischen Nationalisten, sei verhaftet worden. Die Festnahme erfolgte zum Ende einer Unterredung im serbischen Parlament zwischen den nationalistischen Abgeordneten von Draskovics „Serbischer Erneuerungsbewegung“ (MSR) und anderen Oppositionsparteien mit serbischen Regierungsvertretern. Draskovic hatte gegenüber der Nachrichtenagentur 'Tanjug‘ angegeben, falls die Forderungen der Belgrader Demonstranten nach dem Rücktritt der fünf Direktoren des staatstreuen Belgrader Fernsehens nicht bis zum Abend erfüllt würden, wolle die nationalistische Opposition eine „Regierung der Nationalen Rettung“ bilden. Daraufhin wurde er von der Polizei abgeführt.

Um Mitternacht meldete 'Radio Belgrad‘, leider habe man „nicht genügend militärische Unterstützung, um den inneren Frieden in Belgrad zu sichern“. Schließlich brauche Jugoslawien seine Streitkräfte im albanisch besiedelten Kosovo und an der Grenze zu Albanien. Von Albanien gehe „eine große Gefahr für Jugoslawien“ aus, deshalb sei es „unverantwortlich, wenn jetzt Serben in Serbien gegen die legitime Regierung demonstrieren“. Gegner dieser „legitimen Regierung“, Abgeordnete der im Parlament vertretenen Oppositionsparteien, setzten sich daraufhin auf die Stufen des Parlaments und erklärten, sie befänden sich ab sofort im Hungerstreik, bis der letzte Panzer von den Straßen abgezogen wäre.

Sonntag morgen. Die Straßen sind menschenleer, Kneipen und Cafés haben geschlossen, 'Radio Belgrad‘ sendet Volksmusik, zwischendurch erfolgt die Warnung, „Terroristen“ sollten sich ergeben, nichts brauche Jugoslawien dringender als Ruhe. Man habe nach Vuk Draskovic nun auch Jovan Marjanovic, Führungsmitglied der MSR, festgenommen. „Studio A“ erklärt, das Land habe am Rande eines Bürgerkrieges gestanden, nur der sozialistischen Volksarmee sei es zu verdanken, daß er habe verhindert werden können. Gleich danach Geschichts- und Politiknachhilfe für aufrechte Serben: für alle, die immer noch nicht wüßten, wer die „Terroristen“ seien: die Regierungen der „abtrünnigen“ Republiken, Ramiz Alia im benachbarten Tirana und die „Fünfte Kolonne“ in Belgrad, Vuk Draskovic und seine Anhänger. In fast allen Republiken und den autonomen Provinzen hätten „Staatsfeinde“ die Macht an sich gerissen. In Slowenien träumten die Politiker von einem „Anschluß“ an Österreich, in Kroatien wolle Präsident Tudjman einen „großkroatischen Staat“ ausrufen, und Kosovo, das sei ja fast schon verloren. Bei den Freunden klingelt das Telefon — vier Tote, mindestens, sagt eine Stimme und legt gleich wieder auf.

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