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»Bald Wärmestuben statt Kulturhäuser«

■ Prenzlauer Bergs Kultureinrichtungen protestieren gegen die radikalen Einsparungen/ Kürzungen auch in den anderen Bezirken/ Ostsozis sauer

Prenzlauer Berg. Wenn deutsche Sozialdemokraten an die Macht der Straße appellieren, muß ihnen das Wasser schon bis zum Hals stehen. Und der für die Kultur im Prenzlauer Berg verantwortliche Bezirksstadträtin Barbara Teuber steht es bis zu den Ohren. Gestern informierte die SPD-Politikerin die Öffentlichkeit über die Ergebnisse der Verhandlungen der Abteilungen für Kultur und Bildung der Ostberliner Stadtbezirke mit der Senatsinnenverwaltung über die im laufenden Jahr zur Verfügung stehenden Mittel für feste und freie Mitarbeiter in den kommunalen Kultureinrichtungen. Von den beantragten 630.400 DM wurden Prenzlauer Berg 20.300 DM bewilligt. Das sind nur 3,2 Prozent der benötigten Mittel. In anderen Stadtbezirken ist die Lage ähnlich: In Marzahn sind es vier Prozent, in Treptow so wenig, daß der zuständige Bezirksstadtrat bereits die Einstellung der Arbeit der Kulturhäuser verfügt hat.

Barbara Teuber ist nicht bereit, dem Beispiel ihres Treptower Amtskollegen zu folgen. Sie hält die Entscheidung der Innenverwaltung für »politisch skandalös« und will die Öffentlichkeit mobilisieren. »Der Prenzlauer Berg wird wieder marschieren«, droht die Ostberliner Sozialdemokratin, die auf ihrer gestrigen Pressekonferenz von Käthe Reichel rethorisch unterstützt wurde. Die Schauspielerin des Deutschen Theaters sprach von der »Kolonialisierung«, die dem »ökonomischen Blitzkrieg«, der Währungsreform, folgt und der als erstes »die Kultur des eroberten Landes« zum Opfer fällt.

Thomas Flierl, Prenzlauer Bergs Kulturamtsleiter, hält den Beschluß von Innensenator Heckelmann für »irrational«, da es bei diesem »substantiellen Vorgang keinerlei Abstimmung zwischen der Kultur-, der Innen- und der Finanzverwaltung gegeben habe. »Irrational« sei es auch, wenn, wie im Prenzlauer Berg geschehen, »feste Stellen bewilligt werden, aber die Einrichtungen keinerlei kulturelle Aktivitäten« finanzieren können. »Rational ist dies nur«, so Flierl, »wenn im nächsten Schritt die Einrichtungen selbst liquidiert werden sollen.« Auch seine Chefin befürchtet, daß die Kultureinrichtungen des Bezirks nur noch als »Wärmestuben« fungieren können. Die Kürzungen des Senats bedeuten das Aus für über 400 Schüler an den beiden Musikschulen des Bezirks. Dort wurden sieben Planstellen und die Honorare für freie Lehrkräfte um 100.000 DM gekürzt. 34 Zirkel im Kreiskulturhaus müßten ab April ihre Arbeit einstellen, beklagten sich die kommunalen Kulturarbeiter, da keine Gelder mehr für deren künstlerische Leiter zur Verfügung stehen.

Prenzlauer Bergs Kultur-Sozialdemokraten sehen sich als Opfer ignoranter und inkompetenter Senatspolitiker. Für sie sind diese Entscheidungen ein Verstoß gegen den Einigungsvertrag und die Koalitionsvereinbarungen. Irana Rusta, Ost-Berlins Ex-Kulturstadträtin und Mitglied des Kulturausschusses des Abgeordnetenhauses, kündigte für kommenden Donnerstag eine mündliche Anfrage im Parlament an. Die Frage, warum sich eine Regierungspartei von den Entscheidungen des eigenen Senats derart überraschen ließ, blieb unbeantwortet. a.m.

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