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„Die Hauptsache ist, daß man einen Stempel hat“

Italiens ganz normale Wirtschaftskriminalität: Von den vielen Möglichkeiten, mit Geldern aus Rom und Brüssel zu dealen — zuweilen sogar gleichzeitig  ■ Aus Salerno Werner Raith

„Die Sache“, sagt der Avvocato Carpaccio aus Salerno, „ist kinderleicht und idiotensicher.“ Das einzige, was man brauche, seien einige Blätter der „Carta bollata“. Das sind die mit einem Amtssiegel versehenen Antragsformulare, die in jeder Tabacchaia für 5- oder 10.000 Lire zu erwerben sind. Dazu kommen noch einige „Bolli“, Bearbeitungsmarken, — und dann, ja dann fehlt nur noch der „Timbro“, der Amtsstempel. „Damit läßt man sich bescheinigen, daß man nicht vorbestraft ist.“

Das sei für seinen Klienten die schwierigste Sache gewesen, weil er „da mal eine dumme Sache am Hals hatte“. Natürlich völlig unschuldig: Es ging um Betrug, gefälschte Schecks und einen Zyklus von Kreditkartenschwindeleien, „aber er war nur hereingelegt worden“. So sieht der Avvocato denn den Stempel, den der Beamte für „ein paar Graue“ — 100.000-Lire-Scheine (umgerechnet 135 DM) — aufdrückte, als „völlig legal“ an, „zumindest wenn man vom normalen Gerechtigkeitssinn ausgeht“.

Mit dem Dokument konnte sein Klient, ehrenvoll „Commendatore“ genannt, nun eine unbeschränkt handlungsfähige GmbH gründen. Und dann „läuft faktisch alles von selbst“: Die Gesellschaft dient a) der Finanzierung von Immobilienwerten und Geschäftsgründungen und b) als Träger eines staatlich geförderten Projekts zur Umwandlung eines Steinbruchs auf einer der Inseln vor Sizilien in ein Dorf für Unterwasserfans. Das Unternehmen hat einer befreundeten Bank glaubhaft gemacht, daß man das Projekt unverzüglich beginnen werde, sobald die Zuschüsse klar sind — und die Bank hat daraufhin den Antrag an die Regionalverwaltung, über diese an das Ministerium für die Südentwicklung und an den Sonderfond für Umweltschutzmaßnahmen der EG in Brüssel geleitet.

Der erste Clou des Commendatore

Sind die Genehmigungen aus Palermo und aus Rom da, stellt die Bank den beantragten Kredit von 40 Prozent des Projektwertes zur Verfügung. Dann kommt der erste Clou: Da in Italien Geld sehr teuer ist (im konkreten Fall muß der Commendatore rund 14 Prozent Zinsen bezahlen), erstattet das Südentwicklungsministerium die Differenz zwischen den Soll- und den Habenzinsen. Das sind etwa acht Prozent, auf deren Auszahlung man sofort Anspruch hat. Doch nun beginnen, ganz unvorhersehbar natürlich, Probleme bei der Realisierung des Parks: Da ist noch die oder jene Genehmigung nicht da, dann streiken die Arbeiter in einem der Subunternehmen, schließlich das Wetter...

In jedem Fall kann der Commendatore nachweisen, daß er völlig unschuldig an der Verzögerung ist. Damit aber wird der Kredit nicht abgerufen, wiewohl bereits auf der Bank (die damit auch fein spekulieren kann und den Deal warm begrüßt). Das Geld kostet den Commendatore keine Lira Zinsen — doch die Zinsdifferenz hat er gleichwohl schon ausbezahlt bekommen; im vorliegenden Fall mehr als 400.000 DM.

Von dem Moment an, wo auch Brüssel grünes Licht gibt, muß er sich aber entscheiden, denn von nun an gibt es regelmäßige Kontrollen: „Da steht man dann vor einer schweren Frage“, gesteht der Advokat. „Man kann sich nun nobel benehmen und den Park so bauen, wie er vorgesehen ist.“ Das ist aber nicht ratsam: Um die Genehmigung zu bekommen und die Staatsgelder dazu, hatte man in den Ämtern mit zahlreichen „Grauen“ nachhelfen müssen. Außerdem muß man, als Festlandunternehmer, an die sizilianischen Konkurrenten einen erklecklichen Teil der Auftragssumme abführen: „Sonst fallen einem ständig sämtliche Kräne um.“

Was will er nun machen, der Bedauernswerte? Aufgeben, weil die Kosten zu hoch sind? Dann müßte er doch die Zinsdifferenz zurückzahlen? Über soviel Naivität muß der Rechtsgelehrte lachen: „Es gibt mehrere Möglichkeiten. Man kann zum Beispiel Konkurs anmelden.“ Das machen viele, „und manch einer ist schon mit der Zinsdifferenz in beträchtlicher Höhe nach Südamerika abgetaucht.“ Sowas ist aber, bei allen Heiligen, nicht die Art unseres Commendatore: „Wir beginnen zu bauen, jedenfalls bevor die erste Inspektion aus Brüssel kommt.“ Auf die machen erfahrungsgemäß bereits eine Handvoll Kräne und Bulldozer sowie ein Dutzend Arbeiter beträchtlichen Eindruck, und die üblichen 25 bis 40 Prozent Zuschüsse werden zügig genehmigt.

Nur die anderen fälschen

Da steht der Commendatore allerdings wieder am Scheideweg: Die Gelder werden nur nach Rechnungsvorlage ausbezahlt. „Die könnte man fälschen“, berichtet der Rechtsgelehrte, aber selbstverständlich machen so etwas nur die anderen, nicht der Commendatore. Der denkt nicht daran, das Huhn zu schlachten, das goldene Eier legt. Es wird weitergebaut, sehr langsam, aber doch so weit, daß die nächste Inspektion erfolgreich überwunden wird.

Doch irgendwann kommt doch wohl das Ende der Fahnenstange, oder? Aber nein: Inzwischen hat der Comendatore mit der Zinsdifferenz eine weitere GmbH gegründet, die eine großes Nahrungsmittelmagazin, 20.000 Quadratmeter, nahe Latina südlich von Rom projektiert, gefördert vom Agrarfond der EG und einigen römischen Stellen. Und sobald das verbrieft ist, kehrt er zu einem bereits seit drei Jahren laufenden Projekt zurück, mit dessen Zinsdifferenz er das Taucherdorf begonnen hat: ein 500.000 Quadratmeter großer Erholungspark südlich Salerno, seiner Heimat, mit mehreren hundert Bungalows, Wohnwagenplätzen und Freizeiteinrichtungen. Damit die Behörden da nicht ungeduldig wurden, haben ihm gute Freunde im Gemeinderat mit allerlei Verzögerungen den offiziellen Grund fürs Nichtweiterbauen geliefert.

Der Erholungspark ist auch das Motiv für den eifrigen Kontakt zu Auslandsjournalisten (und warum er — einige von uns kennen den Ruf des Commendatore — die ganze Sache umfänglich als legal darzustellen sucht). Sie sollen, garniert möglichst mit schönen Fotos der beiden bisher gebauten Bungalows, Agenturen und andere Interessenten herbeischaffen: „Wenn man hierzulande Artikel aus der Auslandspresse präsentieren kann, ist das mindestens so viel wert wie eine Bürgschaft von der Bank.“ So hat alleine der Bericht über den Besuch des Chefs einer Schönheits- und Verjüngungsklinik aus dem Oberbayerischen die Grundstückspreise ringsum aufs Doppelte klettern lassen. Überflüssig zu erwähnen, daß die Terrains auf den Mädchennamen seiner Frau eingetragen sind.

Die Frage ist, was passiert, wenn jemand den Kreisverkehr stört. „Solange man weitermacht, kann nichts passieren.“ Und wenn die Gesetze geändert werden? „Da sind unsere Leute vor.“ Welche Leute? „Die in den Behörden, in den Parlamenten...“ Und wenn doch? Er hebt die Schultern. „Dann bleibt wirklich nur noch Südamerika.“

Für den Commendatore wäre das allerdings auch kein Beinbruch: da würden ihn schon sein Bruder und vier Vettern erwarten.

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