piwik no script img

Imbißbuden auf dem Vormarsch im Berliner Umland

■ Currywurst und Bulette erobern nach sozialistischem Imbiß-Mangel wieder den Markt/ Viele Arbeitslose werden im Fastfood-Geschäft aktiv/ Aber Westberliner sind oft schneller auf den Parkplätzen und Dorfangern/ Kurzer Ausblick über Geschichte und Zukunft des Gewerbes

Berlin. »Jutet hier!« — Unter Peitschenknallen, von Ponys gezogen, rattern Wurstkessel in Lokomotivform durch die Stadt: Breslauer, Wiener, Knoblauchpökel. Andere »Wurschtmaxen« sowie Gurkenverkäufer, Riemen über den Schultern, tragen Bauchläden oder hölzerne Tönnchen in den Gassen umher. »Allet frisch!« Bolle-Knaben und -Mädchen, in Uniform, bieten Milch am Straßenrand und in den zahlreichen Hinterhöfen an.

Schnitt. 20 Jahre darauf, September 1949, Stuttgarter Platz. Herta Henwer, das ist Faktum, wartet auf Kundschaft. In ihrer Imbißbude experimentiert sie derweil mit Gewürzen. Hoppla, das Ergebnis fasziniert. Die Frau läßt sich ihre Mischung vom Patentamt schützen. Warenzeichen 721319: Die Currywurst ist da, besser: deren Würzrezept.

Schnitt. Gegenwart. Berlin-West hält mit täglich fast einer halben Million verzehrten Currywürsten bundesdeutschen Rekord.

Fazit: Eine Berliner Küche hat es nie gegeben. Gleichwohl urbane Spezialitäten. Puffer mit Apfelmus, Aal in »Jeisterspucke«, pardon Gelee, Pfannkuchen (»Berliner«) oder »verzauberte Schrippe«, also Bulette mit zuviel Brötchen in derselben, um nur einige, auf die Schnelle servierte, Beispiele zu nennen. Auch die Bockwurst, nebenbei bemerkt, erhielt ihren Namen in Berlin, eines Bockbierfestes wegen.

Langsam werden es immer mehr...

Szenenwechsel in den östlichen Teil dieser Stadt. Elf Bezirke zwischen Pankow und Köpenick. Seht! »Grillmaster«, »Schlemmerpfanne«, »Brutzelecke«, »Snack Welt«. Döner Kebap sowieso, wenngleich vereinzelt. »Ham'se ooch Brühe?« Knapp 400 Imbisse wirken offen sichtlich. In West-Berlin sind es rund 1.000. Eine marode Historie dient als Kulisse. Die Metamorphose liegt im Detail.

Abgesehen von »Hähnchenbratereien« in Clubgaststätten beziehungsweise festinstallierten »Grilletta-Stuben« der Ostberliner Konsumgenossenschaft (KG) sind Imbißbuden, privat geführte obendrein, jenseits der exportierten Mauer kaum existent. In sozialistischen Zeiten fand man davon noch weitaus weniger, der hungrige Bürger irrte oft verzweifelt, mit knurrendem Magen und ohne Erfolg durch die Dörfer und Städte. Inzwischen hat sich die Kultur fix zelebrierter Nahrungsaufnahme auch im Osten Berlins selbständig etabliert. Und die Tendenz ist steigend. Schließlich hoffen viele der neuen Fastfood-Verkäufer, so das schnelle Geld zu machen. Das erscheint konsequent. Schließlich waren Buletten, Knacker, Soleier und Kartoffelsalat neben anderem seit jeher gastronomische Einlagen in den Berliner Destillen, Budiken oder Stampen, den Kneipen allgemein. Und mobile Händler, eingangs erwähnt, sind ebenfalls stets Akteure innerhalb der berlinspezifischen Geschichte gewesen, keinesfalls ein Novum.

Indes, die meisten der jetzigen Betreiber jener Buden Ost-Berlins — Historie hin, Destille her — wurden erst einmal im Zuge der Vereinigung arbeitslos. Sie entschlossen sich, Tragikomik der Einheit, aktiv zu werden. Videotheken florieren zwar ähnlich. Imbißbuden sind aber einfacher, weil kostengünstiger, mithin schneller zu errichten.

Es gilt, Auflagen zu erfüllen. Als Standort tabu sind Gelände vor gärtnerischen Anlagen und denkmalgeschützten Bereichen. Darüber hinaus müssen die Buden integriert sein, rein optisch, ins städtebauliche Gesamtkonzept. Gewerbeanmeldungen werden von den jeweiligen Bezirksämtern bearbeitet. Die Genehmigung der Standort-, bisweilen gar Sondernutzungsverträge obliegt dem Tief- oder Gartenbauamt. Sofern die Rechtsträger des beanspruchten Terrains keine Privatpersonen sind und das Gebiet Stadteigentum ist.

Noch harrt die zum Teil konfuse Zuständigkeit der Einigung. Eine zentrale Koordination gibt es bisher nicht. In der Peripherie, am Berliner Ring, das gleiche Bild, dieselben Bedingungen. Auf den einzelnen Rastplätzen stehen zunehmend Imbißwagen. Nicht selten von westdeutschen Besitzern als Kette organisiert, werden diese »fliegenden Bauten«, so der Behördenjargon, von Ostdeutschen betrieben. Annonce in der Zeitung, Fritteuse gesucht und auch schnell gefunden, schon wird der Imbiß eröffnet.

Dabei sind »Pommis« (sic!) keineswegs obligatorisch. Das Angebot, auch in der Stadt, ist ebenso unterschiedlich wie die Ausstattung. Einerseits liebevolle Nuancen, optimistisch inszeniert; bunt lockende Phantasie. Andererseits irritierende Gleichgültigkeit samt bodenständig verhärmter Direktheit. »Heiße Kiste« versus »Futterluke«. Das Gros: Zweckmäßigkeit konventionell. Als Hit rangiert die Wurst, vor Kotelett und Getränk.

Wildschweinbraten mit Ketchup

Die KG erkennt das Contra. Ihrerseits auf eine erfolgreiche Marktstellung bedacht, werden zum Frühjahr fünf mobile Imbisse der Genossenschaft im Stadtbild plaziert, welche bisher nur zur Sommerszeit an Berliner Ausflugszielen zum Einsatz kamen. Neben Broiler und Wurst, klassisch zubereitet, erwägt die KG in der Tat auch Wildschweinbraten, entsprechend portioniert, als zusätzliches, konkurrierendes Angebot. Ketchup — let's go — auf Wunsch.

Ob nun Müggelsee, S-Bahnhof oder Wohngebiet — der Schnell-Imbiß ist »drüben« längst manifest. Dem Berliner wird ja eine sentimentale, ans Pathologische grenzende Tierliebe nachgesagt. Pendant Imbiß? Die Wurstbar, ähnlich des Hundes, als sozialer Funktionsträger? Oder verkörpern Imbißbuden schlicht introvertierte Gier, stehend pariert?

Wie dem auch sei, aus dem Mittelhochdeutschen abgeleitet, erscheint der Begriff Imbiß als nationale Vokabel: »Enbizen«: »Essend oder trinkend genießen«. Unterwegs. Kay Pabst

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen