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Geschichte der Viskose

■ „Am seidenen Faden“, Dienstag, 12.3., ZDF, 22.40 Uhr

Auf dem Gesicht des früheren Personalchefs Greis erscheint ein beinahe seliger Zug, wenn er an seine berufliche Vergangenheit zurückdenkt — wie im Krieg die Anlieger im Hochbunker seiner Firma Schutz fanden, wie er die „Jungens“ unter den Fremdarbeitern „in die Lehrwerkstatt steckte“ und wie sich nach dem Krieg alle wiedertrafen aus der Chefetage, Briten und Deutsche, und keiner fehlte. Animositäten gab es nicht, denn die seit Vorkriegszeiten bestehende Geschäftsverbindung des britischen Viskoseproduzenten Courtaulds zum Kölner Glanzstoff klappte auch nach Hitlers Überfall auf Polen ausgezeichnet. Nachdem die deutschen Arbeiter zur Front abgerückt waren, wurden sie durch italienische, polnische, russische und französische Kriegsgefangene ersetzt, desgleichen die Juden, die, wie es betriebswirtschaftlich nüchtern im Firmentagebuch heißt, „abgegeben“ worden waren. Und während gegen Kriegsende ganz Köln in Schutt und Asche lag, blieb der Viskosebetrieb trotz kriegswichtiger Produktion wunderbarerweise von Bombardements verschont.

Ein Dokumentarfilm über die Geschichte der Viskose — das hört sich zunächst nach Schulfunk und Lehrfilm an. Christiane Mannini und Christoph Goldmann jedoch verstanden es, aus dem spröden Thema einen spannenden, mit Lust zu verfolgenden Film zu machen, indem sie sich nicht lehrbuchmäßig auf einen Handlungsfaden beschränkten, sondern auch Randbereiche ausloteten, Fundsachen einbrachten und unterhaltende Elemente zuließen.

Geschickt montierten die AutorInnen die Aussagen des greisen Herrn Greis gegen die Reaktionen von sechs italienischen Offizieren zu setzen, die 1944 zur Zwangsarbeit abgestellt worden waren, sorgfälig bebilderten sie die Texte und setzten dramaturgisch Akzente, indem sie passagenweise den Film ganz den Augen überantworteten, kleine Pausen zur Verarbeitung des Gesagten. Filme wie dieser könnten Anreiz sein, dem darbenden Genre des Dokumentarfilms wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken — wenn sie nur ihr Publikum fänden. Leider hapert's damit noch. Vielleicht sollte das ZDF den auf manche Zuschauer abschreckend wirkenden Reihentitel Das kleine Fernsehspiel in die Mottenkiste stecken und seine Produktionen nicht zwanghaft als Hoch-, sondern als Populärkultur anpreisen. Das könnte helfen. Herr Dittmeyer

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