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Alle Räder stehen still, wenn die ÖTV es will

Stundenlang keine Busse und Straßenbahnen zwischen Dortmund und Düsseldorf/ Unterstützung der Eisenbahner für den ÖTV-Streik blieb aus/ Wo sind denn die Pendler geblieben?/ Erwartetes Verkehrschaos blieb aus  ■ Aus dem Revier Walter Jakobs

Es ist kurz nach fünf in der Früh'. Klaus Glaser, auf einem Tisch im Pausenraum des Zentraldepots der Bochumer Verkehrsgesellschaft „Bogestra“ sitzend, beendet seine kurze Ansprache an die etwa 30 Straßenbahnfahrer. „Kollegen ich danke euch, daß ihr einverstanden seid. Wir haben da draußen etwas für's Fernsehen aufgebaut, wir sollten da jetzt rausgehen.“ Die Angesprochenen lassen sich nicht lange bitten. Was passiert mit denen, die keine ÖTV-Mitglieder sind, die rausfahren wollen? Klaus Glaser guckt etwas erstaunt. „Das passiert hier nicht, das gibt es überhaupt nicht. Hier sind 99,9 Prozent in der ÖTV organisiert. Die machen alle mit.“ Sollte es dennoch jemand wagen, so fügt er hinzu, „dann würden wir das auch nicht zulassen“. Doch an diesem Tage bedarf es selbst des sanftesten Druckes nicht. Die Beschäftigten in den Verkehrsbetrieben sind sauer wie nie, die Gewerkschaftsforderung nach 10 Prozent mehr Lohn ist ein Selbstläufer. Nach drei Jahren Lohnzurückhaltung hat die Stimmung gegen „die da oben“ ein Tiefpunkt erreicht. Ein knapp fünfzigjähriger Fahrer, der 2.200 DM Netto im Monat mit nach Hause bringt und seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, „würde am liebsten im Quadrat springen, wenn ich sehe, wie die sich da oben bedienen und uns gleichzeitig Verzicht predigen“. Die 25-prozentige Erhöhung der Diäten im Saarland fällt ihm ein, die drei Dienstwagen für Frau Süßmuth und die „Steuerlüge“. Wenn es Kritik an der ÖTV von den Fahrern gibt, dann die, daß der Warnstreik nicht ausreicht. „Wir müssen viel härter ran“, sagt jemand, der ebenfalls die Anonymität vorzieht. Als um 5.30 Uhr ein WDR-Fernsehteam vor dem Depot an der Universitätsstraße eintrifft, gruppieren sich alle — fernsehgerecht mit dem roten ÖTV-Leibchen „Heute Warnstreik“ ausgestattet — um zwei als Kulisse dienende Straßenbahnzüge. Das WDR-Team hätte gern als Kontrast ein paar wartende Kunden, doch niemand ist so blöd auf der gegenüberliegenden Haltestelle auf Bahnen zu warten, die für jeden sichtbar im Depot stehen. Kein Problem für ein kleveres Team. Zwei vorrübergehende Frauen werden angequatscht — „okay, wir stellen uns hin“ — und schon hat man das gewünschte Bild.

Gähnende Leere herrscht an fast allen Haltestellen. Selbst die zentralen Busbahnhöfe in Dortmund und Bochum wirken wie leergefegt. Die Vorankündigungen der ÖTV haben die überwiegende Zahl der Kunden offenbar erreicht — aber nicht alle. Völlig überraschte Fahrgäste finden sich immer wieder, die nervös auf die Fahrpläne schauen und entnervt dem nächsten Bus entgegenfiebern. Dieter Zehm, wohnhaft in einem Bochumer Außenbezirk, ist einer von ihnen. Er hat schon einen fünfzigminütigen Fußmarsch hinter sich und muß nun am Hauptbahnhof feststellen, daß es auch von hier aus nicht wie gewohnt zu seinem Arbeitsplatz in Castrop-Rauxel weiter geht. Zehm ist stocksauer auf die „Arschlöcher“ im öffentlichen Dienst. „Wer kriegt denn schon 10 Prozent? Wir verdienen das Geld und die geben es aus.“ Der Streik wertet er als „größte Sauerrei“. Christoph Borninghof, Lehrer in einer Privatschule in Hattingen, reist täglich von Hamm an. Er wußte zwar vom Streik, hoffte aber trotzdem einen Bus zu kriegen. Das ging schief, denn zwischen Düsseldorf und Dortmund stehen an diesem Mittwoch morgen bis um 7.30 Uhralle Busse und Bahnen in ihren Depots — ohne Ausnahme. Dagegen fällt die groß angekündigte Unterstützung der Eisenbahner ziemlich flau aus. Die S-Bahnen verkehren ebenso pünktlich, wie die überwiegende Zahl der Nahverkehrszüge. Lehrer Borninghof erträgt die Warterei mit Fassung, sieht die zweistündige Verspätung „nicht so tragisch“, denn „ich habe Verständnis für die Forderungen“.

Extra früh aufgestanden ist an diesem Tag der 56jährige Klaus Friedrich. Die Neugier trieb den Invaliden auf die Straße. Jetzt ist er enttäuscht. Zwei Stunden vergebliche Suche nach aufgebrachten Fahrgästen liegen hinter ihm. Friedrichs Absicht, den Streikenden verbal beizustehen, „denn für alles ist Geld da, nur nicht für die Kumpels im Bus“, geht ins Leere. „Die Revolution findet offenbar im Saale statt“, ärgert sich der ehemalige Schlosser. Rätselhaft ist die Leere an den Haltestellen schon. Wo sind die 600.000 Berufspendler, die den Verkehrsverbund Rhein- Ruhr um diese Zeit gewöhnlich nutzen, abgeblieben? Im Rundfunk werden lediglich die üblichen Staus gemeldet, von Fahrrad- oder Fußgängerkolonnen weit und breit keine Spur. Zwar registrierte das Taxigewerbe eine Verdopplung des Fahrgastaufkommens, doch für die Pendlermassen boten die Droschken ebenfalls keine Alternative. Bleibt als des Rätsels Lösung nur die Ausnutzung der Gleitzeit, es sei denn, die als diszipliniert geltenden Arbeitnehmer des Reviers hätten die Gunst der Stunde tatsächlich für eine subversive Verlängerung der Nacht genutzt. Also doch eine „Revolution“?

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