: Poison Idea, Urge Overkill und Ulrike am Nagel
■ Catchytrashcanstroll
Das klassische Dreiergespann: King Roeser (bass, dong) und Jack Watt (drums, bong). Nun ist es nicht leicht, über Urge Overkill etwas Wahres zu schreiben, da sie es vorziehen, in den wenigen Interviews, die sie geben, gezielt Desinformation zu betreiben.
Wahr ist, daß die Band seit 1984 existiert, allerdings als Stammbesetzung King/ Kato. Die beiden fantasieren durch die Gegend, daß es knarzt. Kato z.B. erzählt jedem, der dumm nach Werdegang fragt, er sei als 12-jähriger auf einem Esel durch Polen geritten, als ein brennender Dornbusch ihm den Weg zum Rock'n'Roll wies. Im Studio werde grundsätzlich nackt gespielt. Nun können einem die Augen dick anschwellen über solch derbdreiste Scherze, man möchte müde abwinken, wenn das nicht auch so anstrengen würde. Doch klebt man paralysiert auf dem Sofa fest, denn die schwere Süße, die von ihrer Musik ausgeht, treibt Tränen ins Auge. Eine Bastardkreuzung aus »Death Valley 69/ Sonic Youth«, »Take the money and run/ Steve Miller Band«, mit der Gitarre aus »I want you (she's so heavy)/ Beatles«. Wie das funktioniert? Kinder, fragt mich nicht.
Wer aus Chicago kommt und beim Label Touch & Go zuhause ist, hat zwangsläufug mit Steve Albini zu tun, auf dessen Label Ruthless Records 1985 die erste, inzwischen rare EP »Strange, eye urge overkill« herauskam. Danach sollen etwa drei Jahre Aufnahmezeit für deren Nachfolger »Jesus Urge Superstar«, erschienen 88, vergangen sein. Diese Aufnahmen verschlangen 11 verschiedene Schlagzeuger, darunter ein völlig verdrogter Sly Stone, der angeblich für einen Tag 50 bucks bekam. Überhaupt sind die alten Funkspezialisten Märchenthema Nr.1 bei King/ Kato. George Clinton werde bevorzugt zum Scrabblespielen eingeladen. Schlimmer Unsinn, könnte man meinen.
Die neue LP nennt sich »Americruiser — The sick will of the animal kingdom«, darauf ist die Single »Ticket to L.A.«, und Nate Kato fiebert »never been to L.A. in my life, won't buy me a ticket or buy me a bottle of beaujoulais«, zu einem reißenden Catchytrashcanstroll, die besten zwei Stunden der Trunkenheit ausnutzend. »Empire Builder« ist der beschleunigte Zeitraffer eines Ameisenhaufens, der plötzlich wie verrückt anfängt, Wolkenkratzer in die Luft zu ziehen, einer schneller/größer/höher als der andere.
Kato liegt unter der Oberfläche mittendrin und schreit: »build it higher, build it faster, empire — build up faster/higher/up.« Ihr Video ist ähnlich psychotisch, Urge Overkill laufen in einer Holzhütte herum und suchen anscheinend nichts besonderes. Hier wird mit gebündeltem Schwachsinn gespielt. Solange, bis er sich definitiv in Kunst verwandelt. Charles Manson stapft in einer Blockhütte herum, auf der Suche nach der Factory, um sich in Andy Warhol verwandeln zu können. Hart. Eine neue LP folgt die nächsten Tage.
Die musikalische Herkunft von Poison Idea aus Portland/ Oregon, als Band existierend seit 1980, liegt dagegen ganz klar im Punk. Im Speziellen bei den Germs, dem berüchtigten Drogenhaufen aus L.A., deren Sänger Darby Crash um '80 herum seinen Löffel zum letzten Mal benutzen durfte. Die Germs gingen los wie das Space Shuttle, ihr schnelles Ende war nicht minder explosiv. Auf Poison Ideas eigenem Label »American Leather«, benannt nach einem Song der Germs, erschien P.I.'s erste EP »Darby Crash rides again«, dessen Mythos damit übernommen wurde. Weiterhin ist über ihre Körperfülle schon viel geschrieben worden, was leicht glauben macht, ihre Musik wäre ähnlich dumpfmetal wie die von TAD. Dem ist ganz und gar nicht so, Poison Idea speedcoren, lärmen — leicht, luftig, melodienreich. Was auffällt, ist der Witz und Drive, mit dem sie ihre ernste textliche Thematik betreiben. Das wiederum hat nichts mit straight edge zu tun. Gruppen wie Youth of Today oder Fugazi, deren Songs stets die eigene Haltung reflektiern, mögen aus Sicht eines Fleisch- und Biervertilgers ironischerweise faschistoide Züge tragen.
Also, kein erhobener Zeigefinger oder zwingende Moral, es darf gesündigt werden, stagediven und headbangen ist erlaubt, Knödelessen anscheinend auch, was will man mehr. Peter K.
Um 21 Uhr im Ecstasy
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