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■ Spur des Lichts Hans Gottwald — Aktionsfotografie

Eine gleißend helle Linie hüpft durch das schmuddelige Altbautreppenhaus. Wie ein Neonbandwurm windet sie sich die Treppe hinauf, umrandet spielerisch die einzelnen Stufen und verliert sich schließlich in einem hellen Fleck.

Die Lichtspur macht aus dem Blick in die Mietshaus-Tristesse ein Ereignis. Die Linie läßt den Betrachter die Formen der Treppe beinahe spüren und die ein mal ein Meter große Schwarzweiß-Aufnahme zu mehr als bloßer Fotografie werden.

Hans Gottwalds Bilder entstehen durch das Zusammenspiel von Fotografie und Aktion. Während die Kamera auf dem Stativ bei extrem langer Belichtungszeit das Negativ belichtet, wird Gottwald aktiv, und zieht mit einer Taschenlampe seine Lichtspur durch den Bildraum. Es ist das gleiche Phänomen wie bei Fotos, die die Lichtspuren fahrender Autos bei Nacht zeigen: Die Autos sieht man nicht, es bleiben nur die Linien, die die Lichter der Fahrzeuge in der Dunkelheit hinterlassen haben. Was mit bloßem Auge nicht wahrnehmbar ist, läßt Hans Gottwald auf dem Foto erscheinen: »Die Lichtspur entsteht mittels der Fotografie und dokumentiert meine konzipierte Aktivität im Raum.«

Neben dem Treppenhausbild hängen zwei asymetrisch ineinander verschränkte Fotos, die ein zusammenhängendes Motiv zeigen: einen öden Kreuzberger Hinterhof. Auch hier verbindet, gliedert und durchstreift die Lichtspur den Raum und schärft den Blick für die Konturen der Hinterhoflandschaft.

In gleicher Weise verknüpft der Künstler mit der Lichtspur Innen und Außen: Auf einem Bild windet sich die Linie durch einen Laderaum, springt die Treppenstufen zum Trottoir hinunter und verschwindet im Licht der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Lichtspur gibt dem Foto Bewegung und relativiert die Trennung von umbautem- und Straßenraum.

Hans Gottwald markiert mit der Lichtspur die imaginären Linien von Lebensräumen. Das Repertoire seiner Motive reicht in der Ausstellung von Formen der Berliner Steinwüste bis zur bayrischen Waldlandschaften. Der Künstler, der Bildhauerei studiert hat, ist vernarrt in die Formen, die uns umgeben und hat mit seiner Lichtspur das Mittel gefunden, auf die nichtbeachteten Konturen aufmerksam zu machen. So wird sichtbar, was eigentlich unsichtbar ist: Die Linie als Trennlinie der verschiedenen Stofflichkeiten.

Hans Gottwald »Die Linie ist passiv?«, in der P.T.T.Red Galerie bis zum 30. März, Do — Sa 16 — 19 Uhr, Nanynstr.65, 1000 Berlin 36. Klaus Scheddel

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