: Beifall, Beifall, vereinzelte Pfiffe
■ Schinkel-Festakt in der HdK - Ein Protokoll von Eva Schweitzer
Der Besinnlichkeit und den alten Werten war die feierliche Verleihung des Schinkel-Preises am Mittwoch abend in der Hochschule der Künste gewidmet. Mit Besorgnis sehe er, meinte Jürgen Fissler, Vorstand des Architekten- und Ingenieurvereins (AIV), »die grobschlächtigen Modelle stadtfremder Fachkollegen über Berlin«. Dabei dürfte Fissler vor allem die Hochhausvisionen auf der Frankfurter Ausstellung über Berlins Mitte im Auge gehabt haben, die zu allem Übel auch noch von Nichtberlinern entworfen wurden. »Berlin gibt es schon, Berlin muß man nicht neu erfinden«, sekundierte Bausenator Nagel (SPD) in Vertretung des Regierenden Diepgen (CDU). Bauen, so Nagel weiter, treffe leider heutzutage nicht überall auf Akzeptanz (Beifall), früher — zu Schinkels Zeiten — habe man Bauen auch nicht als Zerstörung der Natur begriffen (Beifall), durch die Mauer sei das Umland vor Berlin geschützt worden sowie das Herz der Stadt nun neu gestaltbar, Berlin müsse und werde jedoch eine multizentrale Stadt bleiben (leichte Ermüdungserscheinungen im Publikum), jedenfalls, den Palast der Republik dürfe man nicht abreißen und das Stadtschloß neu bauen, das sei »Entsorgung der DDR-Geschichte« (Beifall, vereinzelte Pfiffe). Es spreche im übrigen, meinte Nagel, für die Qualität der großen Koalition, wenn der kleinere Koalitionspartner — also er — den Regierenden Bürgermeister vertreten dürfe.
Fissler seinerseits freute sich darüber, nun hoffentlich besser behandelt zu werden wie in den letzten zwei Jahren des rot-grünen Chaos. Das geplante Stadtforum des Umweltsenators Hassemer — der zwar anwesend war, aber seinen Parteifreund Diepgen nicht vertreten durfte — sei ein guter Anfang. Schließlich stünden große Aufgaben vor Berlins Architekten: Die Regierungsbauten, die Bewältigung der »großen negativen Verkehrsströme und die Wohnungsnot«.
Überspringen wir die folgende Preisverleihung und rezipieren nun den Festvortrag des Altmeisters der Architekten, Professor Leonhardt, in Kurzform: Verglichen mit Schinkel stünde die heutige Baukunst nicht gut da, mahnte Leonhardt. Vierzig Jahre Materialismus und Kapitalismus hätte qualitätslose, unwirtliche Städte hervorgebracht. Das läge freilich nicht an den Architekten, sondern am Zeitgeist, der Bautechnik und der Betonindustrie. Ganz schlimm sei es im Osten und bei den Neue-Heimat-Bauten des »asozialen Wohnungsbaus«. Die übertriebene Nüchternheit und Sachlichkeit, angeführt von Mies van der Rohe, täten ein übriges, das Bild unserer Städte zu verschandeln. Schuld daran trügen Bildungsmängel im seelischen Bereich, was im wesentlichen daran liege, daß die Kunsterziehung an den Schulen heutzutage nicht mehr den rechten Stellenwert besitze. Denn, was Bauwerke angehe, da gebe es Regeln für Schönheit, die zu erlernen seien, dazu gehörten etwa zueinander und zur Nachbarschaft passende Proportionen. Und wer in einer häßlichen Umgebung aufwachse, werde aggressiv oder depressiv, das sehe man in den amerikanischen Wolkenkratzervierteln. Dazu komme die Bedrohung durch den Autoverkehr, an dem die Städte erstickten. Leonhardt schlägt als Abhilfe den Bau von Parkhäusern am Stadtrand, Tiefgaragen in den Wohnvierteln sowie die Vertunnelung von Durchgangsstraßen vor. »Aber: Wer soll das bezahlen?« meinte Leonhardt und kam dann — der Übergang fehlt der Korrespondentin wegen einer kurzfristigen Konzentrationsschwäche — auf den Golfkrieg, der ja schließlich auch eine Stange Geld gekostet habe und im übrigen langfristige Probleme zwischen Islam und Christentum schaffen werde. Aber vielleicht werde das alles ganz anders, vielleicht werden in den kommenden Jahren Autos mit Solarenergie aus der Wüste Sahara fahren, visionierte Leonhardt (hier kam aus dem Publikum der Zwischenruf »Kein Blut für Solarkraftwerke«). »Für die Gesundung unserer Städte werden auch die großen Unternehmen umdenken müssen«, schloß der Professor.
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