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Das Ekel der Nation ist wieder da!

■ Alfred Tetzlaff ein Nazi? — Wolfgang Menge: Eine Neuauflage findet nicht statt

Unsere Großeltern verfolgten die Abenteuer der Trapp-Familie noch im Kino; unsere Eltern bekamen die Schölermanns und die Hesselbachs schon frei Haus. Und dann traten die Tetzlaffs auf den Plan! Die konnten es niemandem mehr recht machen. Tochter Rita trug viel zu kurze Röcke und noch dazu nuttige kniehohe Stiefel. (War sie gar die Julia Roberts der Ära Brandt? — Nein, ich glaube nicht.) Schwiegersohn Michael unterstand sich, Sozialdemokrat zu sein, und Mutter Else war viel zu doof, um als deutsche Hausfrau und Mutter durchgehen zu können. Aber erst der Hausherr! Alfred, das Ekel, der notorische Spießbürger mit seinen reaktionären Ansichten, die er vornehmlich in Fäkalsprache von sich zu geben pflegte, dabei ein ordinäres und widerwärtiges Verhalten an den Tag legend, daß der deutsche Fernsehzuschauer zutiefst empört war — weil er sich klammheimlich zu einem guten Teil wiedererkannte.

Die Fernsehanstalten und die Anwälte des glotzenden Volkes, die TV-Zeitschriften, mußten Aushilfskräfte einstellen, um der Leserbriefflut nach jeder Folge von Ein Herz und eine Seele Herr werden zu können, so ungeniert rührte Autor Wolfgang Menge an das gesunde Volksempfinden der deutschen Nation. Menge mußte seinerzeit allerlei Beschimpfungen einstecken, doch obwohl selbst der damalige Programmdirektor der produzierenden Anstalt, Werner Höfer, die Sendung nicht mochte, wurde dem Mitarbeiter der Rücken frei gehalten. Menge, der wenig auf Reaktionen der unflätigen Art gibt, erinnert sich: „Das war damals noch nicht so, wie es heute ist. Damals wurde abgeschirmt, wurde der Autor gegen die Angriffe von außerhalb geschützt. Heute ist es ja umgekehrt ...“

Geplant war dieser ganze Wirbel nicht. „Selbstverständlich, man rechnet immer damit, daß sich Leute über etwas aufregen, was nicht so glattgebügelt ist ...“ Aber keiner der Beteiligten hatte es gezielt auf Provokationan angelegt. Trotzdem sorgte das „Ekel Alfred“ über Deutschlands Grenzen hinaus für Furore. Selbst die britische Yellow Press und gar die 'New Work Times‘ wurden aufmerksam und nahmen das Auftreten der Tetzlaffs mit Befremden zur Kenntnis. Die angelsächsischen Kollegen mißverstanden Menges wüste Satire als Auferstehung des prügelnden Nazis, so daß sich der Autor gezwungen sah, in einem ganzseitigen Artikel in der 'New York Times‘ seine Beweggründe zu erläutern.

So vielschichtig und komplex ist die Rezeptionsgeschichte dieser Serie, daß bereits höchst akademische Analysen verfaßt wurden. Eine Kultserie ist sie bis heute, und viele Leute bedauern, daß es keine Neuauflage gegeben hat. In der Planung war das schon mal, wie Wolfgang Menge berichtet, doch das Projekt scheiterte am skrupulösen Verhalten der Verantwortlichen vom WDR. Ein Sendetermin stand sogar schon fest; Peter Zadek sollte Regie führen, und auch Heinz Schubert stand als Alfred Tetzlaff wieder zur Verfügung. Dann jedoch erreicht Menge ein Anruf vom WDR, man wolle den Sendebeginn auf die Zeit nach der damals anstehenden Bundestagswahl verschieben. Dazu der streitbare Menge: „Da habe ich gesagt, dann können wir es vergessen. Wenn die Bundestagswahl eine Rolle spielt, ob man etwas dieser Art ausstrahlt oder nicht, dann brauchen wir die Sendung gar nicht erst anzufangen.“

Also müssen sich die Tetzlaff- Fans mit der Wiederholung begnügen, die derzeit vom Norddeutschen Rundfunk geleistet wird. Jeden Sonntag um 20.15 Uhr sind die Nordlichter traut vereint bei Ein Herz und eine Seele — wer wollte da noch Lindenstraße gucken? Harald Keller

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