: Rosenzüchter Jones
■ oder: Prinz Charles auf der Suche nach dem verlorenen Knusperhäuschen
Im Jahre 1282 nach Christi Geburt, so berichten die Annalen, lassen sich die ersten Händler an der Kathedrale zu London nieder. Direkt hinter den nördlichen Gemäuer, in der Paternoster Row, verkaufen sie an die Pilger und frommen Besucher Perlen und Rosenkränze. Zum ersten Mal seit ihrem Bau im siebten Jahrhundert bedrängen die Händler das heilige Gestein der St.Paul's Kathedrale mit dem, was heutzutage „Tourismus“ oder auch „wirtschaftliche Erschließung“ genannt wird.
Im Jahre 1991, siebenhundert Jahre später, sieht sich das nach seiner Zerstörung im großen Feuer von 1666 nach Plänen von Sir Christopher Wren wiederaufgebaute Gotteshaus erneut einer Attacke des vielgegeißelten, aber nichtsdestotrotz heißgeliebten „Kommerzes“ ausgesetzt: Die Banken des Londoner Finanzimperiums, einige dem Ethos der Moderne verpflichtete Architekten und ein unter dem Titel „Prinz Charles von Wales“ bekannter hauptberuflicher Rosenzüchter haben den Paternoster Square, das Areal nördlich der Kathedrale, in die symbolträchtigste Baustelle des Empire verwandelt.
In der mittlerweile vier Jahre währenden Paternoster-Debatte geht es allerdings weniger um die Gestaltung von mehr als einer Million Quadratmetern Bürofläche, sondern vielmehr um die ideologische Grundsatzentscheidung zwischen Tradition und Moderne.
Eine kurze Chronik: 187 gewinnt das Architektenbüro Arup mit einem moderat modernen Vorschlag den Paternoster-Wettbewerb und wird beauftragt, einen detaillierten Masterplan auszuarbeiten. Die Arup- Architekten geben den fünf- bis achtstöckigen Büro- und Geschäftshäusern ein selbstbewußt modernes Design. Eine im Halbrund geschwungene Arkade und die rhythmisch variierten Fensterfronten behaupten sich als eigenständige Elemente, ohne je mit dem dominanten Fokus der Kathedrale zu konkurrieren.
Im Dezember 1987 lanciert Prinz Charles, die hoheitliche Architekturkoryphäe von eigenen Gnaden, einen Frontalangriff gegen das Arup-Modell. Die heiligste Stätte Großbritanniens dürfe nicht durch ein „Gefängnis“ verschandelt werden. Des Prinzen mittlerweile als „Luftwaffen- Rede“ bekannte Verkündigung beim jährlichen Manison-Jouse-Dinner des City-of-London-Planungskomitees erreicht mit einem seltenen Lob für Hitler ihren rhetorischen Höhepunkt: „Dieses eine“, so der ansonsten eher in Blumenprospektprosa schwelgende Cicero-Lehrling, „müssen wir der Luftwaffe lassen: Als sie unsere Häuser zerstörte, hat sie wenigstens nichts Anstößigeres als Schutt hinterlassen. Wir haben da schlimmeres hingesetzt.“
Seine Exzellenz ziehe den — ganz zufälligerweise — einige Tage zuvor in der 'Times‘ veröffentlichten Vorschlag John Simpson dem Arup-Modell vor. Simpson, der zur Zeit neben der Tower Bridge ein Toytown-Szenario — Dogenpalast inklusive Kathedrale, Piazza und Campanile — entwirft, verkleistert die Computerterminals der Büroräume mit einer neo-klassischen Fassade. Als Eingang zur Shopping-Meile dient eine Basilika — es fehle nur noch, so ein britischer Kritiker, daß man vor der Kathdrale heidnische Rituale aufführen ließe. Simpsons architektonische Muazk — ein Säulchen hier, ein Giebeldächlein dort — erinnert eher an die Kulissen eines B-Movies über den Fall des römischen Reiches als an die zeitgenössische Wall-Steet-Ästhetik.
Kurze Zeit nach dem hoheitlichen Veto darf Simpson, der an dem offiziellen Paternoster-Wettbewerb überhaupt nicht teilgenommen hatte, seine Italo-Attrappe neben den Arup- Skizzen ausstellen. Das endgültige „Aus“ für Arup kommt dann 1989: Eine neue Immobiliengesellschaft übernimmt den Pasternoster Square und erklärt John Simpson zum Hofarchitekten.
Die Entscheidung zugunsten dieses vulgären Historismus ist symptomatisch für das derzeitige Klima in der britischen Architekturlandschaft. Seitdem Prinz Charles den Gral des guten Geschmacks hütet, bestimmt banaler Pastiche à la Simpson die Ästhetik des Empire. Die hoheitliche Intervention in den Streit zwischen Tradition und Moderne währt nunmehr sieben Jahre: 1984 holt der Prinz auf der Geburtstagsparty der Architekturakademie zum Rundumschlag gegen die Moderne aus, 1988 verkündet er in einem BBC-Feature die zehn Gebote hoheitlichen Designs und 1989 verquirlt der Thronerbe seine „Visions of Britain“ in Buchform — pittoresk dekortiert mit eigenen Aquarellen und Gedichtchen. Bezeichnenderweise widmet der Prinz die Fibel seiner Großmutter, die ihn „das Sehen gerlehrt“ habe.
Des Prinzen Visionen zusammengefaßt: Die Moderne ist generell inhuman, die Klassik hingegen garantiere ein Gleichgewicht zwischen der Natur, dem Menschen und dem lieben Gott. Die „Frankensteinmonster“ der Moderne verweigerten den Gotteshäusern jegliche Achtung. Londons „lungernde Horde von Betongiganten“ verschandele den Blick auf Kirchtürme und Kathedralen, die Hochhäuser symbolisierten den Sieg von Ideolgie und Arroganz über den gesunden Menschenverstand. Gleiches gilt für Flachdächer, Plastik und Stahl. Das Staatstheater erinnert den Prinzen an ein Atomkraftwerk, „Betongulag“ fällt ihm dazu nur ein. Andere hoheitliche Vergleiche: „schmieriger Waschsalon“ und „Raketensilo“.
Die royalen Angriffe haben schon ihre ersten Spuren hinterlassen: Die Plessey-Fabrik, als „viktorianisches Gefängnis“ gegeißelt, muß sich hinter einem Gürtel neugepflanzter Bäume verstecken, Bauherren vergeben größere Aufträge schon im vornherein an prinzentreue Giebeldachfetischisten, und vom Thronfolger öffentlich kritisierte Projekte — wie der Paternoster Square — werden durch opportunistisch klassische Modelle ersetzt. Aus Angst vor einem Veto aus dem Königshaus gewährte der Paternoster-Chefplaner Stuart Lipton dem Prinzen vor seiner Luftwaffen-Rede Einsicht in die Wettbewerbsunterlagen (was auch den von vielen Kritikern bei dieser Gelegenheit mit Erstaunen notierten „Sachverstand“ erklärt).
Den einzigen Ausweg aus dem Dilemma der Moderne sieht Prinz Charles im ehrfürchtigen Blick zurück — zurück zur göttlichen Ordnung der Griechen, zurück zum menschlichen Maß, zurück zu Harmonie und Schönheit. Was er konkret unter diesen hehren Werten versteht, zeigen Gemälde aus dem letzten Jahrhundert und Bildchen in zarten Pastellfarben. Londons Finanztempel müssen sich so gegen einen Turner von 1809 verteidigen, den Wohnblöcken im verarmten Eastend hält der Prinz seine Vision in Royalrosa entgegen — Modell Einfamilienhaus mit spielendem Kind, Papi lächelnd, Mutti strickend.
Mittelalterliche Szenen mit Pilgern und Rosenkränzen scheinen auch des Prinzen Eingebungen für St. Paul's inspiriert zu haben. Im Jahre 1991 aber hat der Kommerz die heiligen Gemäuer schon längst durchdrungen: Direkt neben dem Altar können die Touristen die historischen Höhepunkte der Kathedrale bestaunen. Von großformatigen Dias schicken die Queen, einige pausbäckige Chorknaben und Prinz Charles dem Besucher ein gewinnendes Lachen entgegen. Leider sind die Dias alle etwas überbelichtet, was Hautunreinheiten unvorteillhaft betont. Aber das liegt wahrscheinlich daran, daß „National Power“, Großbritanniens größtes Energieunternehmen, diese ergreifende Ausstellung finanziert, wie ein Plastikschild neben der Kanzel stolz zu berichten weiß. Thomas Langhoff
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