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Die Welt der Elektronik ist sehr groß

Die belgische Techno-Band Front 242 hat eine neue Platte gemacht und geht auf Deutschlandtournee — ein Interview  ■ Von Max Bauer und Adreas Hoffmann

Max Bauer/Andreas Hoffmann: Warum haben Sie auf den Plattenhüllen auf Fotos verzichtet?

Patrick Codenys: Wir versuchen, das Produkt zu pushen — nicht die Mitglieder der Band. In anderen Bands hätten sie einen Sänger, der Mittelpunkt und möglicherweise Kultfigur wäre, und einen Gitarristen, einen Stellvertreter sozusagen, einen zweiten Bezugspunkt. So funktioniert Rock'n'Roll. Wir sehen uns nicht als eine Rockband.

Ihre visuelle Identität ist stets eine synthetische gewesen. Ist das Element einer Strategie?

P.: Für mich ist das das ABC der Werbung. Wenn Sie die Menschen erreichen wollen, dann tun Sie das lieber mit ausdrucksstarken Logos und stark wirkenden Bildern. Wenn Sie ein Produkt veröffentlichen, dann sollten Sie lieber auf schwierige Verschlüsselungen verzichten.

Ihre treuesten Anhänger fanden sich immer wieder im Dancefloor- und Techno-Publikum. Was bedeutet diese Szene für Sie?

P.: Dancefloor ist der Ort, wo sich die „people of the street“ treffen. Wir haben uns immer als verwandt mit dem Dancefloor gesehen — und diese Szene gab uns auch Halt: Als sich Front 1981 gründeten, gab es vernichtende Pressereaktionen. Wir haben daraufhin gelernt, mit verschiedenen Medien gleichzeitig zu arbeiten, mit DJs, mit den Leuten vom Dancefloor, mit dem Fandom— eine Art Leben im Untergrund.

Dancefloor hat in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre einiges an Bedeutung gewonnen. Der House-Sound aus Chicago demokratisierte die Musikwelt nach Punk ein zweites Mal. Sehen Sie sich da als Bestandteil der Gedanken, die dahinterstecken?

Richard 23: Es ist eine gute Sache, denn dadurch, daß das Equipment immer billiger wird, können viel mehr Menschen Musik machen. Sie müssen nicht mehr reich sein, sie müssen nur noch Ideen haben, die sie dann in Musik umsetzen können.

Noch vor kurzem benutzten Sie Slogans und Schlagwörter als wesentliche Bestandteile Ihrer Musik. Ich erinnere mich an Sätze, die wie Parolen klangen: „No sex until marriage“, „Was soll ich denken“ oder „Never stop“. Wieso haben Sie diese Arbeitsweise der Reduktion eines Songs auf Rhythmik, Sequencer und Parolen aufgegeben?

Es interessierte uns, die Austauschbarkeit der Wörter zu zeigen. Daß wir heute auf Schlagwörter weitgehend verzichten, liegt daran, daß es noch viel auszuprobieren gibt, daß wir eine Technik jeweils nur für einen Moment benutzen. Ich glaube, daß wir dieses Mal mit sehr starken Logos arbeiten. Das ist eine Möglichkeit, Botschaften zu transportieren: Es ist eine große Fehleinschätzung zu glauben, in der modernen Musik ließen sich Inhalte nur über die Musik transportieren.

Im Gegensatz zu Bands wie Meat Beat Manifesto oder Pankow, die zu den reinen Elektro-Sounds Elemente aus HipHop oder Heavy Metal addieren, verzichten Sie auf jede Form des Crossovers. Würden Sie sich daher als Puristen bezeichnen?

P.: Wir sind keine Puristen, obwohl wir uns nach wie vor ausschließlich im Elektro-Spektrum bewegen. Wir haben dafür unsere Gründe: Die Gitarre zum Beispiel existiert als Instrument seit mehreren hundert Jahren, dennoch findet man auch heute noch ständig neue Sounds. Das ist auf dem Gebiet der Synthesizer nicht anders: Die Welt der Elektronik ist sehr groß, wir können da noch Jahre weiterarbeiten. Das Problem ist nur, daß heute mehr denn je Konsum und Moden eine sehr gewichtige Rolle spielen. Front haben einmal das Problem gehabt, allzusehr mit der Electronic-Body-Music- und New-Beat-Welle in Verbindung gebracht worden zu sein. Wir haben nicht die Absicht, das Zugpferd irgendeiner Bewegung zu sein. Die Mode frißt einen auf, wenn man sich ihr hingibt.

Ihr neues Album macht den Eindruck, daß Sie auf Nummer sicher gehen und auf Elektro-Pop der frühen Achtziger zurückgreifen.

P.: Für uns hat das nichts Negatives: Wir versuchen, eine Form der Synthese zwischen unseren Anfängen und unserem heutigen Bewußtsein zu schaffen. Das Ergebnis ist ein eher traditionell zu nennender Umgang mit dem Synthesizer. Beispiel House-Music: Es werden auch hier Sounds aus den frühen Achtzigern verwendet, aber in einem sehr modernen Konzept. Unser Anliegen ist es, die Auswahl der Sounds zu vergrößern, alte wiederzuentdecken und die heutigen zu speichern.

R.: Ich denke, es ist erlaubt, hier Parallelen zum Design der neunziger Jahre zu ziehen. Das Design der Neunziger ist futuristisch, die Designer allerdings greifen mehr und mehr wieder auf ursprüngliche Materialien zurück, zum Beispiel Holz, Stein und Metall. Dies könnte grundsätzlich auch eine Perspektive für Front sein.

Front 242 wurden in den achtziger Jahren bekannt. Ein Jahrzehnt, in dem vieles seinen angestammten moralischen oder gesellschaftlichen Wert verlor. Für dieses äußerliche Umgehen mit Inhalt als Zitat und Schmuck fand man schnell das Wort Postmoderne. Sehen Sie Parallelen zu der Entwicklung von Front 242?

P.: Ich sehe eher Parallelen zum Futurismus, zumindest, was die Methode anbetrifft. Wichtig ist für uns, den Sinn, den diese Band hat, in der sich verändernden Zeit aufrechtzuerhalten, die Kontrolle über die Band zu haben, daß wir den Status der Band zu jeder Zeit kontrollieren.

Front hat sich in „Tyranny For You“ erstmals auf ein neues Terrain gewagt, das Schreiben von Songs. Klassische Songstrukturen bekommen auf dem neuen Album mehr Gewicht, verglichen mit der früher vorherrschenden Sequencer-Monotonie und tanzbaren Experimenten. Front ist zahmer, harmonischer gewordem.

R.: Die Komposition hat für uns eine viel dominantere Rolle als vorher gespielt. Auf der anderen Seite benutzen wir nach wie vor bewußt das Element des Automatismus, der maschinell erzeugten Monotonie. Die Kombination dieser beiden Vorgehensweisen macht die ganze Angelegenheit „vollständiger“, aber auch furchteinflößender.

Wieso „furchteinflößender“?

R.: Weil es persönlicher ist.

Sehen Sie Ihre Live-Auftritte als einen gleichwertigen Bestandteil Ihres — erklärtermaßen — multimedialen Bandkonzepts an, eine Facette, die gleich zu bewerten ist mit der Optik und der Musik?

R.: Ja, unbedingt.

Was für Ziele haben Sie, was erwarten Sie von den Neunzigern?

R.: Wir haben das erklärte Ziel, die Stereotypen des Rock'n'Roll aufzubrechen. Ich meine, wir sind nie eine Rock'n'Roll-Band gewesen. Unsere Show wird in Richtung Theater gehen. Die Musiker sind die Schauspieler. Antike Mythologien werden als Show-Dekoration verwendet: Pyramiden, Lightshow und so weiter.

Auf Ihren vorangegangenen Alben arbeiteten Sie mit den Ideen des Minimalismus.

R.: Als wir anfingen, hatten wir nur sehr einfaches Equipment. Nun haben wir immer noch ein relativ „normales“ Instrumentarium, verglichen mit anderen Acts, die ebenso bekannt sind wie wir. Wir haben damals nicht versucht, unsere begrenzten Möglichkeiten aufzupusten, um besser zu klingen. Wir haben versucht, die Möglichkeiten zu entdecken, die dieses einfache Equipment zuläßt. Und das ist unter anderem karge, maschinelle Monotonie oder „Minimalismus“, wie Sie es nennen.

P.: Sie dürfen außerdem nicht vergessen, daß Sie zum großen Teil Material ansprechen, das für Maxi- Singles produziert wurde: Maxis sind in erster Linie Material für DJs, und unsere Art, Musik zu machen, zielt auch auf Dance-Clubs. Also produzieren wir Tracks, die den Anforderungen des Dancefloor entsprechen. Und das kann zum Beispiel Minimalismus sein. Konzentration kann da heißen, daß einfache Ideen transparent auf elektronische Musik gelegt werden. Das ist eine Frage von 12“-Konzept! Bei einer Langspielplatte dagegen versucht man, nicht nur die Tanzbarkeit auszuschöpfen.

R.: In zehn Jahren, wenn wir uns das Equipment leisten können, werden wir Musik wie die Dire Straits machen.

P.: Uns macht das gar keine Angst. Wir sehen uns mehr wie die Pink Floyd der neunziger Jahgre. Nicht in dem Sinne, was die Musik anbetrifft, eher das Konzept: die Art, wie eine Band im Laufe der Jahre wächst. Wir fühlen uns Pink Floyd näher als Technotronic zum Beispiel. Wir wachsen langsam, aber sicher, und wir halten eine gewisse Qualität. Eine Qualität, die Pink Floyd vielleicht einmal hatten.

Sie haben einmal in einem Interview gesagt, daß Sie die deutsche Sprache sehr beeindrucken würde: Ich erinnere mich an das Beispiel „Kartoffel“, ein Wort, das für Sie weder auf französisch noch auf englisch eine ähnliche Stärke hatte. Sie haben die deutsche Sprache auch häufig bruchstückhaft in Ihre Stück miteingebaut. Auf den neuen Alben finden sich keine solchen Beispiele. Warum?

P.: Wir mögen die deutsche Sprache, wie wir bestimmte Instrumente mögen. Es ist der Klang. Und wir setzen bestimmte Klänge, also auch die Sprache, dann ein, wenn wir es für richtig halten.

Gehört es zum Konzept, daß Sie keine natürlichen Samples benutzen, wie das zum Beispiel HipHop- Bands teilweise tun?

R.: Wir benutzen TV- und Film- Samples. Aber wir haben es nie für nötig befunden, Samples von anderen Platten zu nehmen.

P.: Das ist für uns eine Art von Recycling, an der wir nicht interessiert sind. Das ist aber nicht absolut gemeint: Das kann für andere Bands sehr wohl interessant sein.

Für Sie ist Ton-Sampling Recycling , nicht Zitat . Sehe ich das richtig?

R.: Ja, für uns ist das Recycling. Von mir aus „recycling to create“. Eine Balance im Urteil ist hier notwendig. Ein Künstler macht eine Arbeit, indem er zum Beispiel mit Fotokopien arbeitet, Kopien und Originalen. Und durch das Medium Fotokopie, die Verfremdung, entsteht etwas Neues, etwas, das man im volkstümlichen Sinne vielleicht Collage nennen könnte. Aber ist das jetzt Neue Kunst oder Recycling? Das ist alles nicht ausreichend definiert!

Erfinden durch Recycling?

R.: Genau.

Das neue Album von Front 242, Tyranny For You , ist bei Play it Again Sam erschienen. Tourneetermine: 20.3. Hamburg, 21.3. Berlin, 22.3. Bielefeld, 24.3. Düsseldorf, 25.3. Offenbach, 26.3. Bonn, 27.3. München.

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