„Mütterchen, rette meine Zukunft: Geh und sag ja zur neuen Sowjetunion“

■ Das Moskauer Stadtkomitee der KPdSU bereitete sich sehr gründlich auf das Allunionsreferendum vor

Die im folgenden widergegebene Agitationsanleitung wurde durch das Moskauer Stadtkomitee der KPdSU an Parteimitglieder verteilt, um dafür zu werben, beim Referendum am Sonntag mit Ja abzustimmen. Der Tageszeitung 'Moskowskij Komsomoljez‘ fiel das Dokument, trotz Geheimhaltungsstempels, „zufällig“ in die Hände. Die Redaktion entschloß sich zur Veröffentlichung und beauftragte die Publizistin Tatjana Zyba, einige Kommentare zu liefern, die wir hier neben dem Originaltext abdrucken.

„Wenn man die ältere Generation anzusprechen wünscht, ist es möglich, von einer emotionalen Einwirkungsweise auszugehen, die die mit den Erfahrungen der Vergangenheit verbundenen Empfindungen wiederbelebt.“

Tatjana Zyba: Zum Beispiel?

„Einst waren wir Bürger eines großen Landes, und jetzt will man uns in Eingeborene eines ,Krähwinkels im Weltmaßstab‘ verwandeln.“

Für die Jugend gibt es eine „feinere“ Argumentationsweise...

„Die Neun-Millionen-Stadt kann ihre Bevölkerung nur mit Hilfe der Lieferungen aus dem ganzen Lande ernähren.“

... und dabei hatten wir doch immer gedacht, daß wir auch für uns genommen etwas wert sind. Da haben wir nun Fernsehapparate zusammengebastelt, einzigartige elektronische Instrumente, haben Stahl gekocht und Sils und Moskwitschi (sowjetische, in Moskau hergestellte Automarken, d. Red.) montiert. Alles umsonst! Trösten kann uns hier nur die Tatsache, daß wir uns nicht als Erste in dieser Lage befinden.

„Der Verfall mächtigster Städte, darunter auch von Hauptstädten, ist in der jüngeren Weltgeschichte eine bekannte Erscheinung. Ein Beispiel ist Wien nach dem Jahre 1918, nach dem Auseinanderfallen des österreichisch-ungarischen Reiches.“

Da gibt es nichts zu streiten: Wien ist nicht Moskau. Aber wie gerne hätten wir es doch, daß unsere Hauptstadt wenigstens ein bißchen der österreichischen ähnelte. Doch ein Argument ist nun einmal des anderen Feind, und deshalb muß man die Besonderheiten des Massenbewußtseins berücksichtigen.

„Die Argumentation ist derart zu konkretisieren, daß das Bewußtsein jedes Menschen von den unmittelbaren negativen Folgen durchdrungen wird, die der Zerfall der Union für ihn ganz persönlich mit sich bringt (du, und nicht irgendein anderer, wirst ohne Arbeit dastehen, deine Familie ohne Unterhalt).“

Auf das Referendum bereitet sich die ganze Familie vor. Dabei können die Kinder die Eltern kräftig unterstützen. Auch für sie steht deshalb eine Losung bereit:

„Mama! Rette meine Zukunft. Geh und sag Ja!“

Hier fehlt allerdings die Instruktion für die Kinder, was zu tun ist, wenn die Mama plötzlich Nein sagt oder nicht einmal am Referendum teilnimmt? Sollte man das der Parteiorganisation an ihrem Arbeitsplatz mitteilen?

„Die Propagandakampagne vor dem Referendum hat betont konsolidierend zu sein... (z. B: Jelzin und Gorbatschow, sie beide sind für die Union). Dabei darf man sich natürlich nicht in Nuancen verlieren, für welche Variante der Union genau jeder von beiden eintritt.“

Natürlich ist es nicht ratsam, zu konkretisieren, was für eine Union Jelzin vorschlägt. Im großen und ganzen muß es so aussehen, als gäbe es keine anderen Vorschläge als die des Zentrums. Die Kampagne muß zielstrebig sein.

„Die Erhaltung der Union ist die einzige Voraussetzung für ein einigermaßen normales Leben — in keinem Falle sind hier irgendwelche Begleitziele zu erwähnen, wie zum Beispiel die Verstärkung des Einflusses der KPdSU.“

Bewahre Gott die Parteimitglieder davor, ihre Partei zu erwähnen — das könnte der Sache doch nur schaden! B.K.