Erstmals Referendum in der UdSSR

■ 200 Millionen Bürger entscheiden über den Erhalt der Union/ Ergebnisse Ende der Woche

Berlin (taz) — Mehr als 200 Millionen Sowjetbürger waren am Sonntag aufgerufen, in der ersten Volksabstimmung der Geschichte des Riesenimperiums darüber zu befinden, was aus der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken werden soll. Die Frage, die beantwortet werden mußte, lautete: „Sind Sie für den Erhalt einer UdSSR als erneuerte Föderation souveräner und gleichberechtigter Republiken, in denen jedem Menschen, gleich welcher Nationalität, das Recht auf Freiheit garantiert ist?“ Boris Jelzin, der russische Präsident und Radikalreformer, erklärte am Morgen vor seinem Wahllokal in Moskau, er wolle zwar keine Empfehlung im Sinne eines Ja oder Nein zum Erhalt der Union aussprechen. Er sei aber „sicher, daß wir mit diesem System niemals besser leben werden und daß es zerstört werden muß“. Sein Kontrahent Michail Gorbatschow sagte nach seiner Stimmabgabe, nur ein Wahnsinniger würde die Teilung des Landes provozieren. „Denn in dem Fall gibt es wirklich Bürgerkrieg.“ Er sei optimistisch, daß sich die Bürger mehrheitlich für die Union aussprechen würden. Während die Bevölkerung in den drei baltischen Unionsrepubliken sowie in Armenien, Georgien und Moldawien das Referendum boykottierten, wurde aus allen Landesteilen eine rege Wahlbeteiligung ohne nennenswerte Zwischenfälle gemeldet. Erste Teilergebnisse werden heute erwartet. TAGESTHEMA SEITE 3