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Ineinander verbohrt

■ „Rosmersholm“ in der Freien Volksbühne Berlin

Seine Frau galt als wahnsinnig. Die Verstorbene fürchtete, kinderlos zu bleiben, ein ehrenwertes christliches Motiv für einen Selbstmord und die pure Verzweiflung. Pastor Rosmer ist ein guter Mensch und glaubt sich schuldig an ihrem Tod, weil er — darauf legt er Wert — die geistige Nähe seiner Adoptivtochter Rebecca gesucht hat. Er bricht mit der Kirche, ein Freigeist, der an den Adel der Seelen glaubt. Eine dieser guten Seelen, so meint er, ist Rebecca, die er ehelichen möchte. Beschäftigt mit sich, seinem Schuldbewußtsein und zu Höherem strebenden Gefühlen, hat der naive Mensch nicht bemerkt, wen er da vor sich hat. Die Frau als personifizierte Unmoral.

Der Zuschauer im übrigen auch nicht, denn Ibsen baut seine Stücke wie einen Psychokrimi auf, der die Motive seiner Figuren ganz allmählich und auch nur teilweise freigibt. Er mengt Sozialkritik und einige mythische Elemente — in diesem Fall weiße Pferde — darunter, die den psychologischen Realismus seiner Fabel schicksalsträchtig untermauern. Sicherheitshalber hat auch Sigmund Freud ein Stück Tiefenanalyse für „Rosmersholm“ geleistet und das Inzest-Motiv Rebeccas freigeschaufelt. Wissen muß man das nicht.

Regisseur Frank Hoffmann verzichtet auf psychologische Feinarbeit. Er geht den nicht ganz gelungenen, doch interessanten Weg der Stilisierung und Übertreibung. Dafür hat er hervorragende Schauspieler zur Verfügung. Vor allem Ulrich Kuhlmann als der konservative Rektor Krull, der seine Sinnlichkeit mit einem Krückstock ausagiert, und Irm Hermann als Madame Helseth sorgen in den Nebenrollen dafür, daß die Übertreibung nicht zur Karikatur mißrät. Niemand wird denunziert, aber keiner erscheint liebenswert.

Die Schritte der Figuren sind meist aneinander vorbei choreografiert. Abstand bleibt gewahrt. Während zwei miteinander reden, schaut einer von beiden eine dritte Person an. Wenn Rebecca in Aufruhr ist, was häufiger vorkommt, läuft sie hektisch im Kreis — leer. Madame Helseth verharrt lange nach vornüber gebückt, sicher sehr unbequem, als habe sie das Ohr auf einer imaginären Tür. Jeder Gestus bleibt kühl, auch dann noch, als Rosmer (Hermann Treusch) Rebecca den Heiratsantrag macht und sie auf Armen, musikalisch triumphal begleitet, in einen romantisch erleuchteten Bühnenhintergrund trägt. Ein kurzer Hauch von Ironie und Travestie, der nur um so deutlicher macht, daß Hoffmann gegen das Stück inszeniert hat.

Es gibt wohl keinen schlimmeren (und, nebenbei bemerkt, unverschämteren) Vorwurf als den des Castorf-Epigonen, wie es in der Kritik einer Berliner Tageszeitung stand. Falsch. Denn Castorf ist ironisch, wenn auch flegelhaft; Hoffmann bleibt kühl und unparteiisch, aber er hat einen guten Blick.

Rebecca (Tatjana Pasztor) ist eine zunächst harmlos emanzipiert wirkende junge Frau. Soll sie doch ihren eigenen Weg gehen, denkt man gelangweilt. Interessant wird sie, wird es, durch ihre Geständnisse, die Frau des Pastors in den Wahnsinn und in den Tod getrieben zu haben. Dann ereilt auch Rebecca das unvermeidliche Übel von Rosmersholm: Schuldgefühle. Sie lehnt den Heiratsantrag ab. Sie geht ihren eigenen Weg, in den Tod, wohin sie Rosmer mitnimmt. Zuletzt schwanken die beiden — Liebenden? — ineinander verschlungen, nein eher ineinander verbohrt, über angedeutete Felsen dem Meeresabgrund zu.

Das Böse, das schließlich gut wird, setzt der Regisseur nicht in Szene: Eines habe er geschafft, sagt Rebecca zu Rosmer, er habe ihre Seele geadelt. Schade, wieder eine verloren. Sabine Seifert

Henrik Ibsen: Rosmersholm . Uraufführung der Neuübersetzung von Heiner Gimmler. Regie: Frank Hoffmann. Bühnenbild: Christoph Rasche. Mit Hermann Treusch, Tatjana Pasztor, Ulrich Kuhlmann, Joachim Bliese, Irm Hermann, Gottfried Lackmann. Freie Volksbühne Berlin. Nächste Aufführungen:

22.3., 31.3. und 1.4.

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