piwik no script img

Missionare sollen zu Hause bleiben

■ Schuldiskussion in Sachsen findet doch noch eigene Wege / Favorisiertes Modell „Mittelschule“ : Nach jedem Abschluß einen Anschluß/ Schulwesen müsse über Inhalte gestaltet werden

Dresden (taz) — Einen „echten Knüller“ versprechen sich das sächsische Kultusministerium und die CDU-Landtagsfraktion vom Schulgesetz des Freistaates, das im April vom Plenum behandelt werden wird. Mit dem Modell der „Mittelschule“ soll ein typisch sächsischer Bildungsweg konzipiert werden. Ludwig Noack, schulpolitischer Sprecher der Fraktion, verweist auf die in der öffentlichen Diskussion vehement geforderte hohe Durchlässigkeit des Schulsystems, das den Eltern „zu keiner Zeit endgültige Entscheidungen“ über den weiteren Bildungsweg ihrer Kinder abverlange. Der Grundsatz „Kein Abschluß ohne Anschluß“ werde in Sachsen voll verwirklicht.

Staatssekretär Wolfgang Nowack (SPD) erklärte gegenüber der taz, daß dieses sächsische Modell ein Ergebnis von „zigtausend Zuschriften auf den Referentenentwurf“ sei. Jener CDU-Text, der nach baden- württembergischen Muster das dreigliedrige Schulsystem favorisiert und die Erziehung einseitig einem europäisch-christlichen Weltbild untergeordnet hatte, zog zwar viel Kritik auf sich, doch er habe auch eine „großartige Diskussion in der Öffentlichkeit ausgelöst“. „Es ist toll, wieviel spontane Runde Tische und Bürgerkomitees sich zusammengefunden und Papiere erarbeitet haben.“ Die aus den westlichen Bundesländern hereingetragene Diskussion über Gesamtschulen und Gymnasien sei „absurd“. Durchlässigkeit werde in Sachsen in einer Weise verwirklicht, wie kaum in einem anderen Bundesland. Die sächsischen Schulen sollen in allen Stufen offen sein für künstlerische, sprachliche, für mathematisch-naturwissenschaftliche Profile. Bis zur fünften oder sechsten Klasse werden die Kinder gemeinsam unterrichtet, nach der sechsten ist der Übergang zum Gymnasium möglich. Ein Realschullehrgang biete eine akzentuierte berufliche Vorbildung mit Realschulabschluß, der wiederum zur gymnasialen Oberstufe oder zum Berufsgymnasium überleite, einer sächsischen Sonderform, die an die Stelle der „verbotenen“ DDR-eigenen Berufsausbildung mit Abitur treten soll. „Vielleicht können wir eine dem ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert angemessene Schulformen entwickeln.“ Der SPD-Politiker, der auf Biedenkopfs Bitte hin aus Nordrhein-Westfalen nach Sachsen gekommen ist, möchte „weg von den Kampfbegriffen aus dem Westen, in die jede neue Idee sogleich gezwängt wird“. „Alle Verbände und Interessengruppen aus dem Westen schicken ihre Missionare mit der jeweils reinen Lehre hierher. Die sollen lieber zu Hause bleiben.“ Schulwesen müsse über Inhalte gestaltet werden, deshalb soll die Diskussion über Modellkonzepte intensiver als bisher weitergeführt werden.

Wie schon CDU-Fraktionschef Gohliasch, wandte sich Nowack polemisch gegen den brandenburgischen Schulgesetzentwurf. Dort sei sicher die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sehr zufrieden, auch Bildungskommissionen der SPD, „wir aber wollen, daß die Eltern zufrieden sind“. „Das brandenburgische Schulgesetz entspricht den Vorstellungen bestimmter Kreise der SPD in Nordrhein-Westfalen, die dort vermutlich die regierende Mehrheit kosten würden.“ Nowack führte das Nebeneinander von Oberstufenzentren, Gymnasien ohne Oberstufe und Gesamtschulen als Beispiel an. Er glaube nicht, daß die brandenburgischen Eltern anders denken als die sächsischen, sondern daß vielmehr ein zweigliedriges Schulsystem mit hoher Durchlässigkeit dem Elternwillen entspreche. Gohliasch hatte gar einen „Bildungskerker“ zur Hand, worin er die brandenburgischen Kids künftig eingesperrt sieht. Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen seien sich dagegen in ihrer Bildungspolitik einig. „Grundsätzliche Zustimmung“ zu den neuen Überlegungen aus dem Kultusministerium hat auch die SPD-Fraktion signalisiert, deren Schulgesetzentwurf aber weiter zur Debatte steht. dek

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen