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Viermal qualvoll gebrüllt

■ John Cale im Metropol allein mit Gitarre und Keyboard

Es gibt Musiker, die sind wie gute Freunde von früher; Freunde, die anderswo mit anderen ihr Leben leben und die man nur noch selten sieht, weil die Wiederholung alter Geschichten sonst zur Routine werden könnte. Trotzdem verlieren sich solche Freundschaften nicht. Und durch das veränderte Gesicht alter Freunde begegnet einem alle paar Jahre einmal die eigene Vergangenheit.

Die Helden der Popmusik haben tausend Vergangenheiten mitgeschrieben. Um sie nicht zu verbrauchen, ist man vorsichtig beim Wiederauflegen der alten und beim Kauf der neuen Platten. Wenn Helden jedes Jahr wiederkommen, besucht man sie nur jedes zweite Jahr.

Neben Neil Young, Lou Reed, John Lennon ist John Cale Rockheld par excellence. Er hat nicht nur die sechziger Jahre geprägt, sondern auch in den Siebzigern und Achtzigern entscheidende Platten gemacht. Er hatte sich verändert, ohne sich zu verraten.

Doch irgend etwas scheint inzwischen geschehen zu sein. John Cale weigert sich, alt zu werden. Aus dem knapp Vierzigjährigen, der im Rockpalast noch das Bühnenmobiliar zertrümmert hatte, ist ein fast fünfzigjähriger Dandy à la Oscar Wilde geworden. In dunklem Anzug, Weste, hochgeschlossenem weißen Hemd, Pomade im pechschwarzen Haar, Yuppiepagenschnitt, sieht er aus der Entfernung aus, als wär' er grad zwanzig: ein junger Solist auf Konzertreise. Im Publikum sitzen zurückgelehnt die Alten.

Eigentlich hätte er im Rock'n'Roll nichts verloren, hatte der Ex- Velvet-Underground-Veteran schon oft gedroht und immer wieder beklagt, »daß ich ein klassischer Komponist bin, der seine musikalische Persönlichkeit damit verludert, im Rock'n'Roll zu dilettieren.« Auch wenn er vorläufig vielleicht noch darauf verzichtet, mit klassischer Musik sein Publikum zu verunsichern, hat er sich zumindest die Klischeepose des klassischen Solisten inzwischen angewöhnt. Grün, blau, rot oder violett, einzeln oder zu dritt, fallen die Scheinwerfer dezent auf den Sänger, der neben seiner akustischen Gitarre steht oder meist vor dem Keyboard (nicht am Flügel) sitzt. Stereotyp hämmert er immer noch bei dreiviertel seiner Stücke die gleichen drei Akkorde aus Waiting for the man in die Tasten. Wenn er ab und an zu improvisieren versucht, landet er im impressionistischen Kitsch à la Debussy. Zwar spielt er all das, was fünfundzwanzig Jahre lang wichtig war — die wunderschönen Selbstmordstücke von Music for a new Society, Fear, Leaving it up to you usw., zwar müht er sich einige Male noch qualvoll zu brüllen, doch aus den Popsongs sind Lieder geworden, die im bunten Reigen aneinandergeflochten werden. Weniger als das: Ab und an läßt er seine Stimme, die zu schwach geworden ist, all den Weltenschmerz hinauszuschreien, bedeutungsschwanger nachhallen; manchmal gibt's Synthesizerkitsch zur Untermalung. Eine Zuschauerin fand: »Das ist ein lustiger Mann.«

Nach jedem Song steht er auf und verbeugt sich artig. Ab und an wirft er Handküsse — ein- oder beidhändig — ins Publikum. Inzwischen verweigert er jede Popgemeinschaft. Und das buntgemischte Publikum wartet andächtig. Jedes Nachvornedrängen wird mit bösen Blicken oder wütenden Püffen sanktioniert. Niemand bewegt sicht. Jeder haßt seinen unbekannten Nachbarn und suhlt sich in melancholischen Verlassenheiten: »Feeling so loneley, baby, I could die ...«

Nur selten kehrt die Erinnerung in neuen Farben zurück. Dann will man sie halten, auch wenn es nur die Erinnerung an das Abschiedskonzert ist, daß 85 im Metropol angekündigt gewesen war und mit viel Blumenkränzen stattgefunden hatte. Doch John Cale geht nach vier Zugaben. Vier Zugaben in einem Konzert, das letztendlich kaum anderthalb Stunden gedauert hat, sind zumindest bemerkenswert. Detlef Kuhlbrodt

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