: Die roten Punkte von Kleinmachnow
22.000 Anträge auf Rückgabe von Eigentumsrechten liegen im Brandenburgischen Vermögensamt auf Eis/ Mieterbundforderung an Bonn: Grundstückskäufe im Einzelfall auf Redlichkeit prüfen ■ Von Irina Grabowski
Potsdam (taz) — 1978 erfüllte sich für Siegfried Mielitz der größte Wunsch: Die Gemeinde Kleinmachnow bei Berlin übereignete ihm ein volkseigenes Grundstück. Beglaubigt wurde das durch die übliche blaue Nutzungsurkunde, ohne Bezahlung, aber auch ohne Eintragung ins Grundbuch. An die 100.000 Mark und 10 Jahre kräftezehrender Arbeit investierte der 57jährige Entwicklungsingenieur in den Hausbau. Nun hat die Alteigentümerin Julie von Zimmermann — eine in Westdeutschland lebende Erbin des Haakeclans, dem vor 1945 der halbe Ort gehörte — Anspruch auf das Grundstück angemeldet. Mithin ein „normaler Vorgang“: Rund eine Million Eigenheimbewohner in der Ex-DDR haben sozusagen auf (West)-Sand gebaut.
Als „unnormal“ bewertet Klaus- Jürgen Warnick, Mieterbund-Beauftragter im Land Brandenburg, die Haltung der Bundesregierung zu diesem Problem: Nach deren Vorstellung sollten sich die betroffenen Ossis schon mal auf die Miet- und Nutzungskonditionen der „rechtmäßigen“ Besitzer aus dem Westen einstellen oder auf dem freien Wohnungsmarkt Ausschau halten. In einer Drucksache an die Bundestagsabgeordneten vom 12.September 1990 hat der damalige Bundesjustizminister eindeutig für das Prinzip „Rückübertragung vor Entschädigung“ plädiert und Grundstücks- und Hauskäufe nach dem 18.10.1989 — an diesem Tag wurde Honecker gestürzt — für ungültig erklärt. So sehe es das Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen vor, das im Einigungsvertrag enthalten ist.
„Vergessen“ wurde bei dieser Interpretation, daß Grundstückskauf in der DDR erst möglich war, als die Modrow-Regierung auf Druck des Runden Tisches im März 1990 ein entsprechendes Gesetz erließ. Auch Herr Mielitz in Kleinmachnow hat am 18.Mai 1990 „auf Treu und Glauben“ sein Grundstück für 4,50 Mark je Quadratmeter erworben. Erst am 5.Juli 1991 reichte Alteigentümerin von Zimmermann den Antrag auf Restitution ein. War der Kauf nun unredlich? Unterschlagen hat der Justizminister außerdem die gemeinsame Erklärung beider deutscher Regierungen vom Juni 1990, die durch den Einigungsvertrag Gesetzeskraft bekam. Danach ist die Rückübertragung von Eigentumsrechten „von der Natur der Sache her nicht möglich“, wenn die betreffenden Grundstücke oder Gebäude „dem Gemeingebrauch“ zugeführt, also zum Beispiel „im komplexen Wohnungs-und Siedlungsbau“ verwendet wurden. Von einem staatlichen Entschädigungsfond und befristeter Antragstellung auf Rückgabe ist dort die Rede. Übrigens: Das Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen wurde in der Volkskammer nicht gelesen, sondern aus Zeitmangel im „Kilopaket“ verabschiedet.
Nach Ansicht des Mieterbundes darf kein willkürlich gewählter Stichtag Maßstab für die Redlichkeit von Grundstückskäufen sein, die wiederum Fall für Fall geprüft werden müssen. Andernfalls sei schon von vornherein klar, wie die verwaltungsrechtliche Entscheidung des Landesvermögensamtes in Potsdam ausfallen wird. Momentan befindet sich dieses Amt im Aufbau, sind die 22.000 Anträge auf Rückübertragung der Eigentumsrechte noch nicht auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft.
Das hindert die alten, neuen Eigentümer nicht, den jetzigen Nutzern „ihrer“ Grundstücke mit neuen Mietverträgen oder gerichtlichen Vorladungen auf den Pelz zu rücken. Besonders betroffen ist Kleinmachnow: Die Territorialkarte im Gemeindeamt ist mit roten Punkten übersät. Bisher war man davon ausgegangen, daß für 5.000 von insgesamt 5.800 Grundstücken in Kleinmachnow ehemalige Eigentümer aus den Altbundesländern und Westberlin Anspruch auf Rückübertragung angemeldet haben. Genaue Zahlen gibt es nicht. Ungefähr 60 Prozent der Alteigentümer waren noch vor 1961 aus der DDR in den goldenen Westen gewechselt.
Die Bürger in Kleinmachnow haben sich mittlerweile an den ungeliebten Westbesuch gewöhnt, der meist am Wochenende begierig um den einstigen Besitz streicht. In der Regel, so schildert der ortsansässige Anwalt Wolfgang Finsterbusch, kommen die potentiellen Erben der Westbesitzer. Im friedlichen Gespräch am häuslichen Tisch versichern sie den aufgeregten Ossis zunächst, nur die Eigentumsverhältnisse klären und — um Gottes Willen — niemanden auf die Straße setzen zu wollen. Doch schon kurze Zeit später reden sie von befristeten Mietverträgen und Eigenbedarfsklagen.
Viele seiner Nachbarn, so Finsterbusch, verharren mit „wenig Ellenbogenspiel in Gutgläubigkeit“. Doch nur in einem Fall war eine alte Dame aus München beim heimlichen Besuch in Kleinmachnow so sehr vom guten Zustand „ihres“ Anwesens begeistert, daß sie umgehend die Schenkungsurkunde unterschrieb. Doch immer mehr Betroffene beteiligen sich an den Demonstrationen des Mieterbundes. Gestern versammelten sich wieder hunderte Bürger vor dem Brandenburgischen Parlamentsgebäude in Potsdam. Sie forderten die Landespolitiker auf, ihren wenn auch geringen Einfluß in Bonn geltend zu machen.
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