: Einzelhandel im Osten: Tiefer Fall nach Höhenflug
■ Im Westen wird mit einem Rückgang des Einkaufstourismus Ost gerechnet
Frankfurt/Bonn (dpa/taz) — Der westdeutsche Einzelhandel rechnet für dieses Jahr nur noch mit einem realen Umsatzwachstum von zwei Prozent. Der Einkaufstourismus aus den ostdeutschen Ländern, der 1990 erheblich zum Rekordwachstum von acht Prozent beigetragen hatte, werde im Laufe des Jahres abebben, erklärte der Präsident des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels (HDE), Hermann Franzen, gestern auf der HDE-Jahrespressekonferenz in Bonn. In der zweiten Jahreshälfte sei kein Umsatzplus mehr zu erzielen.
Der tiefe Fall folgt damit auf den schwindelerregenden Höhenflug der Branche. So meldete ebenfalls gestern der SB-Warenhauskonzern Asko, daß der Konzern 1990 seinen Gewinn verdreifachen konnte: Der Jahresüberschuß, kündigte Vorstandsvorsitzender Klaus Wiegandt in Frankfurt an, werde für 1990 270 Millionen DM erreichen. Asko hat nach seinen Worten 1990 mit einer Umsatzsteigerung von 10,6 Milliarden Mark auf 11,9 Milliarden Mark deutlich von der guten deutschen Verbrauchskonjunktur profitiert. Für 1991 plane das Unternehmen, einschließlich der neu hinzugekommenen Coop, einen Konzernumsatz von rund 18 Milliarden Mark.
Sehr viel weniger optimistisch blickt der Einzelhandel in den neuen Ländern, der schon im vergangenen Jahr nach der Währungsunion Umsatzeinbrüche von 40 bis 50 Prozent erlebte, in die Zukunft, so Handelslobbyist Franzen. Die bisher privatisierten kleinen Läden in meist unattraktiven Lagen könnten nur mit großer Mühe überleben. Ladenmieten bis zu 260 Mark pro Quadratmeter in Ost-Berlin und 120 Mark in den weniger attraktiven Städten seien „schwindelerregend“. Schuld daran sind nach seiner Meinung häufig die Gemeinden, die die Marktsituation ausnutzten, mit den hohen Mieten aber die Ansätze für einen heimischen Mittelstand im Ansatz erstickten.
Auch die zweite Phase der Privatisierung der staatlichen Einzelhandelsgeschäfte werde keinen wirklichen Impuls für den Aufbau eines Mittelstandes bringen, sagte Franzen. Die rund 2.000 größeren Verkaufsflächen würden vermutlich vor allem an kapitalkräftige westdeutsche Filialketten gehen. Franzen kritisierte auch, daß ein großer Teil der ehemaligen HO-Läden überhaupt nicht zum Verkauf ausgeschrieben worden sei, weil sie bereits mit westdeutschen Filialketten zusammenarbeiteten. Auch diese sollten jetzt an mittelständische Einzelhändler abgegeben werden.
Die großen westdeutschen Handelsfirmen — die oben erwähnte Asko ist viertgrößte im Lebensmittelhandel — hatten sich allerdings schon kurz nach der Maueröffnung fest im Osten etabliert. Daß sie zugunsten von Mittelständlern weichen, gilt eher als unwahrscheinlich.
Besonderes Augenmerk, riet Franzen, müsse außerdem auf die Ansiedlung von Einkaufszentren gelegt werden. Die Gemeinden sollten darauf achten, daß die gesamte Verkaufsfläche in ihrem Bereich nicht größer werde als ein Quadratmeter je EinwohnerIn. Diese „Faustregel“ sollte für fünf Jahre gelten, bis andere Planungsdaten vorlägen.
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