Iraker fürchten die Alternative zum Baath-Regime

■ Die wenigen ausländischen Journalisten, die auch nach dem 6. März im Lande bleiben durften, berichteten im jordanischen Amman über die Situation im Irak

Als am 6. März auf Geheiß der irakischen Führung die ausländischen Journalisten das Land verlassen mußten, durften nur zehn von ihnen — ausnahmslos Araber — in Bagdad bleiben.

„Technische“ Gründe, so hieß es damals aus dem Informationsministerium kurz vor meiner Abreise, machten einen weiteren Verbleib der Journalisten unmöglich, das Land müßte sich erstmal neu organisieren. Die wahren Gründe waren jedem von uns klar: Das Regime wollte keine Zeugen der innerirakischen Kämpfe, die unmittelbar im Anschluß an das Ende des Krieges einsetzten.

Eine Journalistin, die bis zum 18. März in Bagdad arbeiten konnte, war die Palästinenserin Lamis Andoni (30), Korrespondentin der britischen Tageszeitung 'Financial Times‘. Bei ihrer Ankunft in Amman sagte sie mir, daß hinsichtlich der Unruhen im Lande die Lage in der irakischen Hauptstadt relativ ruhig geblieben sei. „Für viele irakische Oppositionelle, insbesondere für die Intellektuellen, ist die Meuterei im Süden und Norden nicht die Revolution, von der sie jahrelang geträumt haben. Die Beziehungen der Aufständischen zu ausländischen Mächten wie Iran, Türkei und den USA machen sie eher zurückhaltend.“

Angesprochen auf die Reaktion der Bevölkerung auf die von Saddam Hussein angekündigte Demokratisierung sagte sie: „Die Leute sind skeptisch, sie wollen Taten sehen, sich nicht länger auf Worte verlassen. Gleichzeitig aber spüren sie, daß es keine Alternative zum Regime gibt. Sie wissen, daß der Sturz Saddams zum Machtvakuum, zu politischer Instabilität, ja sogar zum Bürgerkrieg führen kann.“

Lamis Andoni konnte beobachten, wie die Regierungstruppen anfingen, die Waffen, die sie an die Bevölkerung während des Krieges ausgeteilt hatten, wieder einzusammeln. „In einigen Vierteln durchsuchten die Soldaten die Häuser, sie forderten die Leute per Lautsprecher auf, ihre Waffen auszuhändigen. Immer wieder hörte man aber in der Nacht Schießereien; entweder hatten einige ihre Waffen nicht abgegeben, oder es handelte sich um vor der Militärpolizei flüchtende Soldaten, möglicherweise aber auch um Familien, die als Zeichen der Verehrung ihrer Märtyrer Schüsse in die Luft abfeuerten.“

„Die Atmosphäre war äußerst explosiv“

Der Libanese Ghassan Habbas (29), Kameramann beim deutschen ZDF, kehrte am 19.März aus Bagdad zurück. Er berichtete, daß trotz der miserablen Versorgungslage in der Hauptstadt immer mehr Menschen nach Bagdad kämen. „Fast alle, die während des Krieges aus Angst die Stadt verlassen hatten, sind zurückgekehrt. Viele sind auch auf der Flucht aus dem Süden und dem Norden. Obwohl es kaum Benzin gibt, sind die Straßen voller Autos und Busse. Es herrscht großer Mangel an Nahrungsmitteln, Wasser, Strom und im Bereich der Gesundheitsversorgung. Nur wenige haben Arbeit, es fehlt dementsprechend an Einkommen, um die teurer gewordenen Nahrungsmittel und Dienstleistungen bezahlen zu können.“

Habbas war in Khademia und Schulla, den Schiiten-Vierteln Bagdads, unterwegs. Auch hier war es zu Auseinandersetzungen zwischen den Einwohnern und der Armee gekommen. „Die Stimmung dort war äußerst explosiv, immer wieder beschimpften Frauen die Führung, machten sie verantwortlich für den Tod ihrer Männer und Söhne. Die Geheimdienstler versuchten sie daraufhin mundtot zu machen, und immer wieder kam es zu Schießereien in den Gassen“, sagte Habbas.

Im Zentrum von Kerbala, der heiligen Stadt der Schiiten, konnte Habbas mit eigenen Augen große Verwüstungen beobachten, Folge der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Armee und den Aufständischen, die meisten von ihnen Iraker iranischer Herkunft und Mitglieder der fundamentalistischen Dawa-Partei.

„Viele Geschäfte sind geplündert, Autos gestohlen, Häuser ausgeraubt und angezündet worden und das Krankenhaus wurde beschädigt. Augenzeugen berichteten mir, daß im Hospital einige verletzte Soldaten ermordet worden seien. Zufällig traf ich auf eine Ansammlung von Leuten, die an der Moschee von Kerbala ein größere Sprengladung gefunden hatten. Die Umstehenden erzählten, die Aufständischen selbst hätten die Moschee in die Luft sprengen wollen, in der Hoffnung, die Zerstörung dann später der Armee in die Schuhe schieben zu können.“

Ebenfalls in Kerbala traf Habbas einen Mann, dessen 19jährige Tochter brutal vergewaltigt worden war. Er war nicht zu Hause gewesen, als die Unruhen in der Stadt begannen.

Am meisten beeindruckt hatte Ghassan Habbas eine Großdemonstration. Fast 200.000 Menschen hatten am 14.März ihre Unterstützung für das Regime von Saddam Hussein bekundet, mehrere Kilometer lang war der Zug gewesen. „Ich glaube nicht, daß die Demonstration von der Regierung organisiert worden ist; dazu ist sie im Moment gar nicht in der Lage. Die Menschen wären offenbar froh, wenn die Bagdader Führung die Khomeini-Leute schlagen würde.“

Habbas bestätigte mir, daß die Schiiten trotz ihrer religiösen Präferenz das islamische Regime in Teheran nicht unterstützten. „Ein Mann sagte mir“, so Habbas, „er sei ein gottesfürchtiger Mensch, seine Frau und seine sieben Töchter, sie alle trügen den Schleier. Aber ein Regime wie dieses fanatisierte in Teheran, eine solche Schreckensherrschaft wolle er nicht ertragen.“ Khalil Abied, Amman