piwik no script img

Schlau ist, wer sich selber nicht versteht

■ Streichquartett-Marathon in der Galerie Rabus / KennerInnen diskutierten, Könner spielten

Über Musik zu sprechen, ist eine schwierige Sache. 2 Tage lang über eine bestimmte Musikgattung zu reden, eine noch viel schwierigere. Worüber spricht man da eigentlich und hat das Reden über Musik eine erhellende Wirkung auf das Musikhören?

Die VeranstalterInnen von „JETZT das Streichquartett“, die projektgruppe neue musik und DACAPO, waren sich dieser Schwierigkeit wohl bewußt. Und es hat sich gezeigt, was eines der wichtigsten „Lernziele“ ist: So über Musik zu reden, daß der Bezug zu ihr nicht verlorengeht.

„Wahr sind nur die Gedanken, die sich selber nicht verstehen“. Ein Adorno-Zitat, gegen Ende der Tagung am Sonntagnachmittag vom Komponisten Gösta Neuwirth geäußert, charakterisiert kurz und knapp, was über weite Strecken des Wochenendes den hellen Raum der Galerie Rabus erfüllte. PhilosophInnen, Musikologen und Komponisten entwickelten vor einem überraschend großen SpezialistInnenpublikum ihre Gedanken, Theorien und Hypothesen. Manchmal schien die Luft etwas zu dick vor lauter Schlauheit. Daran konnten die Moderatoren Wolfgang Welsch und Martin Zenck nicht immer etwas ändern.

Klar ist jedoch, daß es bei so gegensätzlichen Positionen, wie sie auf dem Podium vertreten waren, Spannungen auftreten, die bis zur gegenseitigen Verständnislosigkeit gehen können. Bereits das Eröffnungskonzert am Freitagabend machte die unterschiedlichen Kompositionsansätze ohrenfällig. Der Frankfurter Komponist Rolf Riehm hat in seinem Quartett „Tempo strozzato“ von 1978 die Möglichkeiten verschiedener Zeitwahrnehmung ausgelotet. In der Spannung zwischen „würgender Zeit“ — was die eine Bedeutung des Titels ist — und „drosselndem Tempo“, der anderen Übersetzung, sieht der Komponist Riehm eine Reaktion auf politische Entwicklungen am Ende der 70er Jahre. Und zweifellos ist der zunehmende Verlust von Eigenständigkeit und Individualität heute genauso aktuell wie vor gut zehn Jahren. In Riehms Streichquartett, das am Freitagabend in der Shakespeare- Company aufgeführt wurde, erlebt die HörerIn einen radikalen Ausdruck: Weite Strecken von lähmendem Gleichklang aller vier Stimmen erscheint wie das minuziös genaue Funktionieren eines Zahnradsystems.

Neben der gesellschaftlich- kritisch engagierten Musik waren bei der Bremer Tagung auch Komponisten vertreten, die zwar den Vorwurf des „Unpolitischen“ in ihrem Werk weit von sich weisen, jedoch in der Tat ganz andere Prioritäten setzen, wenn sie die Gattung „Streichquartett“ mit ihren Tönen füllen. Bei einer computersimulierten Fassung, verfolgte das Publikum nur noch synthetische Klänge, unterlegt mit surrealistischen Videoaufnahmen aus der medizinischen Badeabteilung des St.Jürgen-Krankenhauses. Lediglich leere Stühle, auf denen die beiden Geigen, die Bratsche und das Cello liegen, erinnern daran, daß hier ein Streichquartett Pate stand. Eine Kampfansage des Komponisten Denys Bouliane gegen jeden Versuch, Musik in Kategorien einzuordnen. Sein Stück „Cinq petits simiodrames“ spielt mit den Möglichkeiten, die aus Kombinationen von verschiedenen Traditionsbezügen entstehen, wenn sie dem modernen „Face-lifting“ der Computermusik unterzogen werden. Und so wirkt der Titel seiner Komposition, übersetzt „Fünf kleine Affereien“, wie ein spöttisches Augenzinkern angesichts der feierlichen Stimmung, die mit dem Streichquartett assoziiert wird.

Die postmoderne Position, in deren Bannkreis die Streichquartette der letzten zwanzig Jahre auch gesehen werden können, hat die wohl einleuchtendste Erklärung für diese Vielfalt: Vielleicht winkt dem Streichquartett gerade angesichts seiner Möglichkeiten für Pluralität wieder eine große Zukunft. Damit ist allerdings nicht gemeint, daß von nun an das Nachdenken über Musik allen Ordnungskriterien enthoben sei. Ulrike Brenning

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen