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Ermäßigung für Renate

■ Coming-Out-Festival nach drei Jahren BKA

Trotz §175: Tim Fischer als »Zarah ohne Kleid«, im BKA mit Kleid

Ermäßigung für Renate Coming-Out-Festival nach drei Jahren BKA

»Kronzeugen haben freie Fahrt«, »der Ermäßigungstarif gilt nicht für Renate«: Die mit verändertem Aufdruck den BVG-Sammelfahrscheinen täuschend echt nachempfundenen Eintrittskarten der Berliner Kabarett-Anstalt gehören sicherlich zu den originellsten der Stadt und stimmen gut auf das meist ausgefallene Programm ein. Highlights daraus präsentiert die Kreuzberger Dachbühne am Osterwochenende anläßlich ihres dreijährigen Bestehens. Auch wenn sich die Kabarett-Anstalt in letzter Zeit sehr maskulin gab und auf dem Weg ist, sich zu der schwulen Bühne Berlins zu entwickeln, ist ihr eigentliches Genus Femininum und wird nichtsdestotrotz als Neutrum genannt: In Anlehnung an das Bundeskriminalamt heißt sie kurz »das« BKA. »Wir halten uns an keine Gesetze, auch an keine grammatikalischen«, rechtfertigt BKA-Macher Jürgen Müller das veränderte Geschlecht.

Mit dem Gesetz kam man jedoch schon häufiger in Konflikt. Immer wieder weigerten sich Werbefirmen, die Plakate des BKA zu kleben: Sei es einen auf ein Hakenkreuz genagelten Bundesadler oder — wie auf dem neuesten Aushang — zwei bumsende Männer vor einer Entbindungsstation. Daß auf dem letzten zudem ein rotes Kreuz mit drauf ist, rief die caritative Organisation sogar höchstselbst auf den Plan. Diese nicht ganz ungewollte Werbestrategie ging in der Regel auf: bei »Skandalen« dieser Art standen die ZuschauerInnen Schlange.

Angefangen hatten die heutigen BKA-Macher im CaDeWe, dem Cabaret des Westens, das früher im Mehringhof spielte. Erst 1988 konnten sie die ehemalige Dachluke am Mehringdamm 34 beziehen. Ein festes Haus zu haben, hieß für Jürgen Müller erstmals »das zu machen, was du willst«; als »Die Enterbten« standen die Betreiber schließlich auch immer selbst auf der Bühne. Hatte man lange auf Senatskohle verzichtet, scheint man bald auch nicht mehr auf sie angewiesen zu sein. Mit dem Konzept eines schwulen Theaters wurde in Berlin eine regelrechte Marktlücke entdeckt.

Daß dabei noch Laien ins Rampenlicht kommen, ist angenehm. Jürgen Müller will — wie er sagt — »Leben auf der Bühne sehen und nicht Theater«. Daß viele BKA-Akteure dennoch auf ihre Art Profis sind, kann man am Osterwochenende erleben: Am Freitag etwa die Teufelsberg Show-Produktion mit ihrer Dicken Eier Show und special guest Tim Fischer, der 17jährigen »Zarah ohne Kleid«, die das Hamburger Schmidt-Theater entdeckte. »Der Tag danach« heißt konsequenterweise die Samstags-Show, bei der »Gäste nach Art des Hauses« präsentiert werden sollen. »Totale Unterhaltung« ist wiederum am Sonntag auf einer Ballnacht angesagt. »Du bist wohl voll blöd« heißt dagegen ein Stück des Theaters Gaukelstuhl für Kinder ab 8, das schon um 16 Uhr beginnt.

»Nur für Schwule zu spielen ist langweilig«, meint Jürgen Müller nicht nur in Hinblick auf das Kinderstück und erklärt weiter: Ein guter Schwuler wolle ja auch mal mit einem Hetero ins Bett, das Theater könne dazu die Vorarbeit leisten.

Damit es für Heteros zuguterletzt auch wirklich nicht »zurückbleiben!« heißt, wird im BKA an Altbewährtem wie den Eintrittskarten festgehalten. Demnächst sollen sie sogar auf das neue Vierersystem der BVG umgestellt und im Text aktualisiert werden. Vielleicht ja dann auch endlich mit Ermäßigung für Renate. Micha Schulze

Drei Jahre BKA: Highlights an den Ostertagen (siehe Programm), Mehringdamm 34, 1/61

»Hilfe, ich komme«, aber nicht auf dem S-Bahnhof: Die S-Bahn-Werbeagentur weigerte sich, das neue Plakat der Enterbten zu kleben, das Rote Kreuz zog vor Gericht.

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