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Am Strand ist Nicaraguas Krise weit weg

Die Osterferien haben begonnen/ Ganz Nicaragua stellt für eine Woche den Betrieb ein/ Reiche im Nachtklub wie Arme in der Badehose lassen sich im Strandbad vollaufen und setzen so den Kreislauf der Währungsspekulation außer Kraft  ■ Aus Managua Ralf Leonhard

Dichte Staubwolken wirbeln durch die leergefegten Straßen von Managua. Der Straßenasphalt beginnt unter der drückenden Hitze aufzuquellen und unter der Last der auf Hochtouren laufenden Klimaanlagen bricht die Stromversorgung immer wieder zusammen. Dieser Mißstand behebt sich nun von selbst — die Osterferien sind ausgebrochen.

Die Ministerien und Fabriken sind geschlossen, die Präsidentin hat sich in ihre Strandresidenz zurückgezogen und selbst die Zeitungen haben bis Ostersonntag den Betrieb eingestellt. Im Fernsehen und Radio verdrängen Übertragungen religiöser Zeremonien und Berichte über das Geschehen in den Strandbädern die politischen Nachrichten. Selbst die Wirtschaftskrise scheint für ein paar Tage vergessen. Alle Nicaraguaner, die es sich leisten können, sind an den Strand gefahren. Selbst die, die es sich nicht leisten können, fühlen sich unwiderstehlich vom Sand und der gleißenden Sonne angezogen, auch wenn sie gar nicht schwimmen können. Familien, die auf Goldbarsch und Languste in den zahlreichen Fischrestaurants verzichten müssen, bringen ihre Sardinenbüchsen und den vorgekochten Reis selber mit und picknicken am Strand. Und die ganz Armen füllen zumindest die Badezentren, die mit dem Lokalbus zu erreichen sind. Die billigen Volksbäder, El Trapiche im Osten von Managua und Xiloa an einem Kratersee im Westen, sind allerdings in den letzten Monaten schwer heruntergekommen. In den Umkleidekabinen sitzen schillernde Schmeißfliegen auf verkrusteter Scheiße und die schattenspendenden Strohschirme sind größtenteils verschwunden.

Wie jedes Jahr hat die Polizei auch diesmal einen umfassenden Plan für die Osterkrise entworfen. Ein freundlicher Polizist in der neuen blauen Uniform mahnt in einem TV- Spot zum verantwortlichen Autofahren. Selbst in den härtesten Kriegsjahren übertraf in der Osterwoche die Anzahl der am Steuer Verunglückten und am Strand Ertrunkenen die der Opfer an der Front. In 80 Prozent der Fälle ist Alkohol im Spiel. Denn an den Strand fahren, heißt für die meisten Nicaraguaner nicht schwimmen gehen, sondern sich in der Badehose vollaufen lassen. So mancher vergißt dabei, daß er gar nicht schwimmen kann und wagt sich dann doch in die gefährlichen Strömungen der Pazifikküste.

Die Bourgeoisie kehrt aus Miami zurück

Daß die besseren Hotels in den Strandbädern seit Wochen ausgebucht sind, beweist, daß es reichlich Leute mit Geld gibt: Die alte und neue Elite, aus dem selbstgewählten Exil in Miami zurückgekehrt, ergreift wieder Besitz von den Reizen der Heimat. Gab sich die Bourgeoisie am Samstag noch im Hotel Intercontinental von Managua ein Stelldichein, wo nach elf Jahren erstmals wieder eine Miß Nicaragua gewählt wurde, so bevölkert sie jetzt die exklusiven Strände. Die „Chicas del Can“, eine populäre Frauenband aus der Dominikanischen Republik, treten nicht in Managua auf, sondern in den Nachtklubs von Montelimar, San Juan del Sur und Granada.

Nicht an den Strand fahren nur die wirklich Armen und die Einbrecher, denn letztere haben in Managua Hochsaison. Deswegen will die Polizei diesmal auch in den Villenvierteln ihre Patrouillenfahrten verschärfen. Neben der Polizei sind auch Dutzende Freiwillige der nichtstaatlichen Umweltbewegung ausgerückt, stellen Mülltonnen am Strand auf und erinnern ihre wenig umweltbewußten Mitbürger daran, daß das Meer 100 Jahre braucht, um eine Bierdose zu zersetzen.

Jede Streikbewegung, die vor der Karwoche kein Abkommen erreicht, hat schlechte Karten. Die Studenten und Universitätsprofessoren, die gegen die Kürzung des Hochschulbudgets auf die Barrikaden steigen, haben ihre Proteste kurzerhand bis Anfang April ausgesetzt. Die streikenden Bankangestellten werden nicht angehört, weil die Banken ohnedies Dienstagmittag ihre Pforten schlossen. Einzig die Post, das Wasser- und das Elektrizitätswerk müssen bis Samstag ihre Kassenschalter offenhalten. Denn aufgrund des jüngsten Abkommens zwischen Regierung und Gewerkschaften wurde die Frist für die Zahlung fälliger Gebühren zum alten Tarif bis 30. März verlängert. Hunderte verbringen ganze Tage mit Schlangestehen.

Die Mehrzahl der Nicaraguaner laboriert noch an den Folgen des jüngsten Wirtschaftspaketes, das durch eine fünfhundertprozentige Währungsabwertung die Reallöhne drückte. Denn während Preise und Tarife um drei- bis vierhundert Prozent stiegen, wurden die Gehälter für die meisten Angestellten nur mit zweieinhalb bis drei multipliziert. Doch ein kleiner Hoffnungsschimmer läßt die krisengeschüttelten Nicaraguaner diesmal aufatmen. Erstmals seit dem Amtsantritt der neuen Regierung sind zwei Wochen ohne neue Abwertung verstrichen. Und die Preise der Grundnahrungsmittel sind im Laufe des Monats sogar leicht gefallen. „Vielleicht klappt das Stabilisierungsprogramm doch“, freut sich ein Taxifahrer, der sich aus Solidarität mit der Politik der Spekulationsbekämpfung an die offiziellen Tarife hält. Während die Preise sonst vor Ostern explodieren, mußten die Händler diesmal auf ihre Spekulationsmarge verzichten, da der Staat dank ausländischer Schenkungen mit eigenen Lebensmittelreserven auf dem Markt intervenieren kann und die Kunden die Wucherer mit Boykott bestrafen können.

Ob der Wirtschaftsplan auch nach der den Gewerkschaften abgerungenen zweimonatigen Schonzeit greifen kann, hängt in erster Linie von den Resultaten der Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds ab. Präsidialminister Antonio Lacayo und das halbe Wirtschaftskabinett verbringen nämlich ihre Osterferien in Washington, wo sie frische Devisen suchen, damit die Schulden von 360 Millionen Dollar bei den internationalen Finanzinstitutionen beglichen werden können. Erst dann winken neue Kredite, die auch die Produktion wieder ankurbeln könnten.

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